: Eine neue Trambahn für Berlin
■ Gutachter sprechen sich für den Neubau von 37 Kilometern Straßenbahnbaustrecke binnen der nächsten 20 Jahre aus/ Zahlreiche Trambahn-»Korridore« in den Westteil vorgeschlagen/ Einstellung von Linien in Ost-Berlin abgelehnt
Berlin. Schöne Utopie: Eine Art moderne Straßenbahn könnte in Berlin »sowohl eine Alternative zum weiteren U-Bahn-Bau als auch einen Ersatz für einzelne stark belastete Buslinien darstellen«. Zu diesem optimistischen Urteil kommen mehrere Beratungsfirmen in einer für die Senatsverkehrsverwaltung erarbeiteten Analyse. Noch unter dem rot-grünen Senat hatte die Verwaltung im letzten Herbst bei privaten Planern ein Bündel von Straßenbahngutachten in Auftrag gegeben. Sie sind nunmehr komplett fertiggestellt und dürften die weitere Diskussion im Senat maßgeblich beeinflussen.
Soweit sich aus den der taz vorliegenden Kurzfassungen der Papiere ersehen läßt, ist keiner der Experten für Streckenstillegungen, ganz im Gegensatz zu BVG-Direktor Lorenzen. Die Beratungsfirmen aus Berlin und Hannover schlagen sogar vor, das vorhandene Trambahnnetz im Ostteil binnen 20 Jahren zu einem gesamtstädtischen 100-Kilometer- Stadtbahnnetz weiterzuentwickeln. Dabei beträgt der Anteil der Neubaustrecken rund 37 Kilometer. Für den Streckenaus- und -neubau werden Kosten von 8,5 bis 25 Millionen DM pro Kilometer veranschlagt. Damit sei die Stadtbahn ein ausgesprochen »kostengünstiges Verkehrsmittel«, denn ein Kilometer (U-Bahn-)Tunnelstrecke verschlinge 150 Millionen.
In ihrem Konzept für ein künftiges Netz der Stadtbahn sehen die Planer insgesamt 15 »Korridore« zur Ausdehnung der Linien in den Westteil der Stadt vor. Angeregt werden drei neue große Radialstrecken, und zwar zwischen Steglitz und Weißenseee, Mitte und Marzahn sowie Schöneweide und Köpenick. Auf dem Weg zum Rathaus Steglitz soll die Tram vom Potsdamer Platz wieder wie früher über den Straßenzug Potsdamer, Haupt-, Rhein- und Schloßstraße rollen. Drei weitere Ringlinien (Tiergarten-Friedrichshain, Wedding- Neukölln, Hohenschönhausen- Mariendorf) verbinden die Stadtbahn untereinander. Auf dem Wunschzettel der Planer steht auch die direkte Verknüpfung beider Stadtzentren durch eine Linie vom Potsdamer Platz zum Zoo.
Wie die Gutachter betonen, sollten die momentanen Staßenbahnstrecken weiter betrieben werden; sie sollten zu einem späteren Zeitpunkt auf modernen Stadtbahnbetrieb umgestellt werden.
Nach Vorstellung der Planer soll die neue Stadtbahn einen eigenen sogenannten Gleiskörper und Vorrang an Ampeln haben; ebenso solle der stufenlose Einstieg an Haltestellen ermöglicht werden. Zwei Drittel der Strecken in Ost-Berlin verfügten aber bereits über einen besonderen Gleiskörper. Die Erneuerung des Gleisoberbaus sowie die Umrüstung der Ampelanlagen ließen deshalb die Aufnahme eines Stadtbahnbetriebs »bereits nach kurzer Zeit auf ersten Teilstrecken« zu.
Geht es nach einer anderen Studie, fährt die Straßenbahn auch in Köpenick weiter. Hier sprechen sich die Gutachter der Berliner Ingenieurgesellschaft Verkehr für den zweigleisigen Ausbau der jetzt noch eingleisigen Streckenabschnitte aus. So sei lediglich noch ein Kilometer eingleisige Strecke zu bauen, was schätzungsweise 20 bis 25 Millionen DM koste. Das vorhandene Straßennetz in Köpenick ergänze die S-Bahn- Strecken und erfülle wichtige Erschließungsfunktionen. Demgegenüber möchte die BVG insbesondere im Bereich von Köpenick den Trambahnverkehr zum größten Teil einstellen. Beim Verkehrssenator hält man offiziell mit der Meinung zu den Gutachtervorschlägen hinterm Berg. Erst vor den Sommerferien sei mit einer detaillierten Stellungnahme zu rechnen, da man die Papiere erst auswerten und sich dann mit den anderen Senatsstellen abstimmen müsse, erklärte der Leiter der Abteilung Verkehrsentwicklung, Kalender.
Inoffiziell ist zu vernehmen, daß Verkehrssenator Haase nur diejenigen Ostberliner Straßenbahnstrecken erhalten und modernisieren möchte, die schon über ein separates Gleisbett verfügen. Eine Grundinstandsetzung der übrigen Strecken, die aus Landesmitteln bezahlt werden müßte, lehne er ab. Bonner Gelder gebe es nach dem Gemeinde- Verkehrsfinanzierungsgesetz nämlich ausschließlich für Bahnen auf eigenen Trassen. Ural Kalender zu den Vorzügen der Stadtbahn: »Sie kommen erst dann zum Tragen, wenn die Stadtbahn einen eigenen Schienenkörper hat, dann werden die Behinderungen für den Schienenverkehr auf ein Minimum beschränkt.« Und auch der Autoverkehr sei nicht beeinträchtigt. Thomas Knauf
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