Eine Hauptstadt wird überhaupt nicht benötigt

■ Betr.: "Lobbyistenauftrieb oder: Das Elend mit der Hauptstadt", taz vom 25.3.91

betr.: „Lobbyistenauftrieb oder: Das Elend mit der Hauptstadt“ von Klaus Hartung,

taz vom 25.3.91

Oh, ich kann es nicht mehr hören, das Gezeter und Geschrei um den künftigen Regierungssitz, weder die RheinbündlerInnen, denen Berlin zu östlich und zu protestantisch ist und überhaupt zuviel Pöpel hat, noch die BerlinerInnen mit ihrer Überheblichkeit, nur ihre Metropole sei überhaupt als Hauptstadt geeignet, nur dort spiele sich der Vereinigungsprozeß ab und nur sie hätten den historischen Anspruch.

Trotzdem habe ich viel Sympathie für die Weltstadt Berlin, gerade auch, wenn ich als geborener Hamburger einige kleingeistige Argumente aus dem Süden höre. Daß ich dennoch weiter für Bonn eintrete, liegt an einem Fakt, den auch Klaus Hartung in seinem drittletzten Absatz erwähnt:

Die Metropole Groß-Berlin wird in den nächsten Jahren einen derartigen Sog entfachen, daß selbst eine Entscheidung des Bundestages gegen sie nur schwerlich Bestand hätte. Kaum eine wichtige Institution wird sich der Notwendigkeit entziehen können, in der mit Abstand größten deutschen Stadt ihren Sitz oder zumindest einen Ableger zu haben.

Gerade deshalb sollten sich die Deutschen mit aller Kraft diesem Sog entgegenstellen und ihn nicht durch eine Verlegung der Regierung noch anheizen, damit aus dem übrigen Land mit seinen Zentren nicht das wird, wofür es die BerlinerInnen schon lange halten: tiefste Provinz. Thorsten Diekmann, Hannover

Meine Position in dieser Frage ist eindeutig gegen Berlin. Denn erstens wurde die ehemalige DDR an die BRD angeschlossen, und die Hauptstadt der BRD war schon immer Bonn und nach dem Anschluß des Saarlandes erwog auch niemand ein Verlegen des Regierungssitzes.

Die von Ihnen angeführten historischen Gründe für Berlin als „Reichshauptstadt“ könnten jedoch eher für Frankfurt Verwendung finden, in welcher schließlich das erste Deutsche Parlament seinen Sitz hatte. Auch die enormen Kosten für ein Umziehen unserer Regierung nach Berlin sind zum jetzigen finanziell bescheidenen Zeitpunkt nur noch ein weiterer Grund, daß unsere Bundeshauptstadt Bonn bleibt.

Der repräsentative Aspekt der Großstadt Berlin ist meiner Meinung nach durchaus gegeben, aber hier stellt sich mir die Frage, warum wir dann nicht wieder unsere Fürsten- und Königshäuser einsetzen, welche doch so schön repräsentativ sind, und wir können uns doch diesen kleinen Luxus leisten, wo doch das Leben in Deutschland so billig und gut ist. Haben wir denn wirklich zuviel Geld?

Einen äußerst wichtigen Gesichtspunkt haben Sie leider vollkommen außer Acht gelassen. Unsere Politiker in Bonn machen nicht nur Politik für unsere neuen Mitbürger, sondern sie sollten uns, die alten Wähler, und unsere Interessen doch genauso vertreten. Und da die alte BRD den größeren Bevölkerungsanteil stellt, müßte doch wohl unsere Hauptstadt (demokratisch) auch nach diesen Gesichtspunkten gewählt werden. [...] Helmut Schmid, München

Ich frage mich, wie ein intelligenter Mensch überhaupt für Berlin als Hauptstadt sein kann. Ist das der neue Großmachtwahn, der da um sich greift? Florian Strubelt, (West)Berlin

Mit seinem Beitrag hat Herr Hartung den Nagel auf den Kopf getroffen.

Es gibt jedoch noch mehr Gründe, die es innen- wie auch außenpolitisch erforderlich machen würden, den Regierungssitz nach Berlin zu verlegen. Wer, wie der Kanzler, von Solidarität mit den Neubundesbürgern spricht, sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Es wäre auch sicher ein Signal für die Beamten und Verwaltungskräfte, sich mehr im Osten zu engagieren. Es wäre aber auch ein eindeutiges Signal für die Wirtschaft. Diese wäre schon aus pragmatischen Gründen gezwungen, ihren Lobbyisten zu folgen. Ich glaube, daß die Entscheidung, den Regierungssitz nach Berlin zu verlegen, sich auch auf die Investitionsbereitschaft auswirken würde. Für die Neubundesbürger wäre die Entscheidung für Berlin, auch endlich das erlösende Zeichen, daß sich in Politik und Wirtschaft etwas zum Positiven hin bewegt.

Den außenpolitischen Aspekt sehe ich in Europa. In Polen und der CSFR beobachtet man genau, was sich in Deutschland abspielt. Berlin als Hauptstadt und auch Regierungssitz würde unseren östlichen Nachbarn deutlich signalisieren, daß man es mit dem größeren Europa ernst meint. Bonn als Drehpunkt zwischen Ost- und Westeuropa, daran kann doch wohl ernsthaft niemand glauben. Und auch in Frankreich leuchtet keinem so richtig ein, warum Berlin Hauptstadt sein soll und die Regierung in Bonn sitzt.

Wer also von seinen Bürgern fortwährend Mobilität fordert, für den ist es nach über 40 Jahren an der Zeit, sich endlich mal zu bewegen, mag es auch noch so unbequem sein. Renate Helling, (Ost)Berlin

Das, was der unerschütterliche Klaus Hartung in Sachen Ideologieproduktion absondert, ist zuweilen echt geil. Total irre find' ich beispielsweise seine Kommentare und Debattenbeiträge zum Golfkrieg; denn immerhin ist seine intellektuelle Kriegshetze an der Heimatfront ein kleiner Beitrag zum Bombenerfolg der Völkergemeinschaft unter US-Leadership gewesen.

Daß der Bombenkerl in Diensten der taz nach seinen propagandistischen Glanzleistungen eine Verschnaufspause benötigt hat, geht voll in Ordnung. Zumal deshalb, weil er nun mit neuer Power in den Kampf um Berlin als Hauptstadt unseres wiedervereinigten Vaterlandes eingreifen kann. Und das geht echt gut ab.

Nachdem er was von 'nem „kariösen Zahn“ und der „Weltmacht D-Mark“ erzählt hat, schlägt der alternative Untertan Hartung seinem Staatschef Kohl lobend auf die Schulter, weil der einen „großen historischen Erfolg“ errungen hat, indem er (fast) allen deutschblütigen Frauen und Männern seine Herrschaft verpaßt hat.

Anmachen hingegen muß der ums Gemeinwohl besorgte Alternative die „politische Klasse Bonns“; die „Stammgäste“ der „drei Bonner Lokale“ haben nämlich nicht geschnallt, daß die „Hauptstadtentscheidung“ eine echte „Schicksalsfrage“ ist. Deshalb macht der taz- Klaus der „Bonn-Lobby“ total gut klar, daß die „Entscheidung für Bonn“ eine „politische Katstrophe“ wäre: Bonn sei nun mal halt im Gegensatz zu Berlin keine Metropole, sondern „die Hochburg des Provinzialismus“. [...]

Darüber hinaus haben wir, die Fans von Klaus, auch noch verklickert bekommen, wie alternative Realpolitik geht: Zuerst rührt man beziehungsweise frau, die Werbetrommel für den Krieg gegen „Hitlers Wiedergänger“ Saddam Hussein, dann beteiligen wir uns alle konstruktiv am Palaver über die „Reichshauptstadt Berlin“, und schon sind wir Alternativen in die Volksgemeinschaft hineingewachsen. Echt geil, wa? Franz Anger, Neuss

Daß wir wieder mal in einem Zeitalter der Symbole leben, haben wir spätestens Mitte der siebziger Jahre zu spüren bekommen. So weit, so gut! Um dabei allerdings nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, muß man sich bewußt sein, daß Symbole stets janusköpfig sind: Sie haben eine faszinierende und dominierende Prunkfassade und einen jeweils dazu passenden häßlichen Hinterhof.

Wenn Klaus Hartung also Berlin zur Hauptstadt „pushen“ will, muß er im altbekannten Stadt-Land-Spiel — wo bleibt der Fluß? — einfach nur die Schokoladenseite der Großstadt gegen das Abziehbild der Provinz ausspielen. Das tut er denn auch in bewährter Manier. Berlin wird auf einmal nur von Individualisten, Widerständlern und Künstlern bevölkert und Bonn von Bürokraten und Spießbürgern. Es gibt aber beide „Spezies“, sowohl in Bonn als auch in Berlin.

Eine umgedrehte Perspektive könnte sogar in der ehemals preußischen Hauptstadt die Geschichte von Militarismus und Gewalt und damit eine heutige Tendenz zum Zentralismus des orwellschen großen Bruders ausmachen und in Bonn dafür das ewig unfertige Provisorium erster demokratischer Erfahrungen in der Nachkriegsrepublik, förderalen Kräfteausgleich in der Tradtition der Mainzer Republik und nicht eines Duodezfürstentums vor 1792/93.

Vollends an den Haaren herbeigezogen ist die These, Bonn stehe für Anschluß und Berlin für Vereinigung zwischen Ost und West. Wenn Politik so einfach wäre! Solange die CDU/FDP-Koalition regiert, egal ob in Bonn oder in Berlin, bleibt die Politik des Anschlusses. Das ist Realität.

Daher wäre es besser statt symbolischer politische Diskussionen zu führen: über direkte Demokratie in Staat und Wirtschaft, über gegenseitige Hilfe im sozialen Leben, über die ökologische Zukunft in Stadt und Land, über eigenständige Regionalentwicklung etc. Dazu würde die Forderung nach 1.000 runden Tischen, nach einer zu den Menschen reisenden Verwaltung und nach Zukunftswerkstätten passen. Eine Hauptstadt wird überhaupt nicht benötigt. Das ist Schnee von gestern oder genauer: nationalstaatlicher Schmus aus dem 19. Jahrhundert.

Aus Spaß am Symbolischen und aus Resignation an seiner uraltjungen Kraft — das gebe ich gerne zu — neigt sich mein südwestdeutsches, antipreußisches Demokratenherz mehr dem ewigen Provisorium Bonn als der ewigen Residenz Berlin zu. Aber andererseits wäre ich auch jederzeit bereit, in einem Anfall von lustvollem Leichtsinn für irgendein 1.000-Seelendorf in der Eifel oder in Mecklenburg die Hand zu heben. Volker Galle, Alzey