: Zu unappetitlich
Deutsche Erstaufführung von Strittmatters „Untertier“ in Hamburg ■ Von Rolf Suhl
Auch die Jungs von der Polizei haben ihre Probleme. Wart zum Beispiel hat sich sterilisieren lassen, weil nach der Geburt seines fünften Kindes die Wohnung langsam etwas eng wird. Die Kollegen wissen von dem Eingriff, nur der Frau mag er es nicht sagen, denn sie ist streng katholisch. „Körper“ traktiert sein müdes Fleisch mit Bodybuilding und Eiweißprodukten, aber an die Frauen kommt er einfach nicht ran. Und Kerch ist ein etwas trüber Rechtsradikaler, der darunter leidet, daß man ihn für blöd hält. Bleibt noch Lohner, der Sunnyboy und Spezialist für schlüpfrige Geschichten.
Vier Polizisten bei der Körperpflege. Im Dunstkreis von Dusche und Umkleideraum blühen die schönsten Männerphantasien, da wird der tägliche Frust in kleinen Sticheleien abreagiert. Lohner schwärmt von lebenden Austern und von der Dauerlatte, die man davon angeblich bekommt, und er kennt auch „die Geschichte von dem Mann, der sich Koks in den Pimmel gespritzt hat“. Aber Lohner wird das Feixen noch vergehen: Ausgerechnet der Vater seiner türkischen Freundin kommt bei einem dilettantischen Polizeieinsatz ums Leben. Kollege „Körper“ wollte den randalierenden Türken bloß ein bißchen ruhigstellen, und dabei ist es passiert. Kein böser Wille, ein Betriebsunfall.
Thomas Strittmatters jüngstes Stück Untertier, Anfang des Jahres in Graz uraufgeführt und nun in deutscher Erstaufführung im Hamburger TiK zu sehen, läßt sich auf eine griffige Schlagzeile bringen: Tod eines Türken im Würgegriff der Polizei. Aber es geht ihm um mehr. Strittmatter will keinen authentischen Fall rekonstruieren, noch liefert er eine Polizeisatire für aufrechte Komödianten. In 14 knappen, manchmal etwas unfertigen Szenen beschreibt er eine Atmosphäre, in der verbale Kraftmeierei plötzlich in Gewalt umschlägt.
Strittmatters Sprache ist raffiniert: Den Jargon der Männerclique hat er zur Kunstsprache verdichtet, platte Zoten wechseln mit überraschend poetischen Bildern. Noch an der schönsten Metapher klebt der Geruch von Menschen. Es riecht nach Männerschweiß und Duschgel, nach billigem Deo und muffigen Diensträumen. Nur im TiK, der Studiobühne des Hamburger Thalia- Theaters, ist davon nichts zu merken. Dem Regisseur Michael Heicks waren die schwülen Männerphantasien entschieden zu unappetitlich. Mit vielen Mätzchen quält er seine Inszenierung am Text vorbei, als könne man ihn am Ende für die geballten Schweinereien verantwortlich machen.
Sicherheitshalber hat er die ärgsten Zoten gleich aus dem Text gestrichen, und auch manche aktuelle Anspielung fiel seiner Texthygiene zum Opfer. Statt das Untertier in der Gegenwart zu lokalisieren, veranstaltet Heicks eine zeitlose Polizeifarce. Schnell will er sein und witzig. Sperrige Textstellen werden munter weggehaspelt oder mit Bühnengags unterlegt. Wenn „Körper“ die Haßbeziehung zu seinem Bruder erläutert, dann nimmt er seinen Kollegen Kerch demonstrationshalber in den Schwitzkasten. Auch sonst drückt man seine latente Aggressivität vorzugsweise in Kampfbewegungen aus.
Die überwiegend jungen Schauspieler schonen sich nicht, aber die Befindlichkeiten der Polizeibeamten bleiben ihnen fremd. Der „Körper“ von Klaus Rodewald ist ein schwammiges, unbeholfenes Kind, seine Fitneßübungen enden regelmäßig als Lachnummer. Kerch (Stephan Lohse) fällt nur gelegentlich durch sein etwas ungesundes Gekicher auf, und selbst der abgeklärte Peter Danzeisen weckt kaum Interesse für den alternden Polizisten Wart. Nur ganz selten kommt die aufgedrehte Komik zur Ruhe, und dann finden die Schauspieler auch mal Zeit, ihre Figuren zu entwickeln. Justus von Dohnányi (Lohner) gelingen solche Momente, zumal in der letzten Begegnung mit seiner türkischen Freundin Ayse (Michaela Behal). Deren Vater Deniz ist soeben im Polizeigriff des ungeschickten „Körper“ erstickt, nachdem er, verzweifelt über das Leben in der Fremde, wieder einmal randaliert hatte. Ein paar Augenblicke lang nimmt sich die Inszenierung Zeit für die Figuren und ihre Sätze, bevor in der Schlußszene wieder der lärmende Leerlauf in Gang gesetzt wird.
Der Dramatiker Thomas Strittmatter, noch keine dreißig und schon mit diversen Preisen ausgezeichnet, hat diesmal kein Glück. Nach der harmlosen Uraufführung in Graz bleibt sein Untertier auch in Hamburg zahnlos. Nun richtet sich die Hoffnung auf Berlin, im Schiller Theater steigt der nächste Versuch.
Thomas Strittmatter: Untertier. Regie: Michael Heicks. Bühne: Jürgen Höth. Mit Stephan Lohse, Peter Danzeisen, Justus von Dohnányi, Michaela Behal. TiK Hamburg. Nächste Aufführungen: 4., 5., 18. und 19. April.
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