: Weizsäcker im Gegenwind
■ In der Frage des zukünftigen Regierungssitzes der Bundesrepublik wird das Eintreten des Präsidenten für Berlin von Parlamentariern immer schärfer angegriffen
Bonn (dpa/afp/taz) — Seit der Bundespräsident offen und beharrlich dafür eintritt, in der alten und neuen Hauptstadt Berlin auch den Sitz von Regierung und Parlament zu installieren, muß er sich aus dem Lager der Bonn-Anhänger aller Parteien zunehmend schärfere Attacken gefallen lassen.
Jetzt pochte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Gerhart Baum im Kölner 'Express‘ auf die Mündigkeit von Bundestagsabgeordneten gegenüber dem Präsidenten: „Wir haben keine Führung nötig. Wir wissen, wie wir zu entscheiden haben. Der Bundespräsident sollte sich deshalb nicht einmischen.“ Bei der Entscheidung über den Regierungssitz schlage die Stunde des Parlaments.
Politiker von CDU und CSU haben ihrem Parteifreund Richard von Weizsäcker in der Diskussion über den künftigen Regierungssitz jetzt erneut „Starrsinn“ vorgeworfen. Der kommunalpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Adolf Herkenrath (CDU), sagte dem 'Express‘: „Ich habe immer gedacht, von Weizsäcker sei ein kluger Mann. Aber in der Berlin-Frage ist er starrsinnig. Außerdem lassen sich Bundestagsabgeordnete nicht erpressen.“
CSU-Generalsekretär Erwin Huber äußerte sich ähnlich: „In der Berlin-Frage ist der Bundespräsident starr und fernab von der Realität.“ Besonders frech ging der CSU-Politiker mit finanziellen Ängsten der SteuerbürgerInnen um. Angesichts der für Juli bereits als Osthilfe bevorstehenden Steuererhöhungen warnte er vor angeblichen Milliardensummen für den Regierungsumzug: „Mit dem Wechsel kämen auf die Deutschen zusätzliche Belastungen von 60 bis 100 Milliarden Mark zu.“ Für die dadurch erneut anstehenden Steuererhöhungen wäre dann Weizsäcker verantwortlich.
Während Bundeskanzler Helmut Kohl, der nach aus seiner Umgebung als „vertraulich“ lancierten Informationen aus organisatorischen und finanziellen Gründen für Bonn eintreten soll, weiter eisern schweigt, hatte der Präsident schon früh Flagge für Berlin gezeigt. Bereits vier Monate vor der Vereinigung, bei der Verleihung der Berliner Ehrenbürgerschaft im Juni vergangenen Jahres, sprach er sich als einer der ersten demonstrativ dafür aus, mit Regierung und Parlament vom Rhein an die Spree umzuziehen.
Schon damals flammte Kritik auf, Befürworter Bonns, etwa der SPD- Politiker Horst Ehmke, verbaten sich in einer bis dahin ungewöhnlichen Tonart gegenüber dem Staatsoberhaupt jede Einmischung in eine Frage, über die nur das Parlament zu entscheiden habe. Weizsäcker gab aber keine Ruhe: In einem „Memorandum zur Hauptstadt“ legte er jetzt im März nach und ergriff noch einmal nachdrücklich Partei für Berlin.
Schon danach warfen Abgeordnete dem Präsidenten „Erpressung“ vor.
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