: Vom Umgang mit psychisch Kranken
■ Werkstattschrift berichtet von der Auflösung der Klinik Blankenburg
“Besser gar keine Irrenhäuser, als solche, wo die Einsperrung und ganze Behandlung der Unglücklichen ihre Leiden nur vermehren muß, wo die Heilbaren auch unheilbar gemacht werden. Besser, daß einzelne Personen den Kommunen und Privaten zur Last sind, ja, daß hier und da einer zum Scheusal herumgeht, als solche Treibhäuser des Wahnsinns, wie unser Blankenburg.“
Es war im Jahre 1846, daß ein aufgebrachter Oldenburger Staatsrat dieses schrieb. Doch obwohl sich die Zustände der psychiatrischen Klinik Kloster Blankenburg bis 1988 nur unwesentlich geändert hatten, sollte es noch gute 140 Jahre dauern, bis die Klinik ihre Pforten endgültig schloß.
Die Stationen dieser Schließung und die allmähliche Umsiedlung der Patienten von Blankenburg nach Bremen in verschiedene „Nachfolgeorganisationen“ , mit all ihren fachlichen, planerischen und persönlichen Auseinandersetzungen, wurde nun in einem von Petra Gromann- Richter herausgegebenen Sammelband dokumentiert. Dreizehn verschiedene AutorInnen, die alle in irgendeiner Weise an der Auflösung de Klinik beteiligt waren, beschäftigen sich aus ihrer jeweiligen Perspektive unter der gemeinsamen Überschrift „Was heißt hier Auflösung?“ mit den unterschiedlichen Ebenen des Auflösungsprozesses.
Ein einleitendes Kapitel enthält Kurzbiographien dreier Patienten aus Blankenburg, ihren Weg in die Klinik — und den wieder hinaus. Nach Blankenburg wurden mit solch vernichtenden Diagnosen wie „Imbezillität“, „Idiotie“ oder „Debilität“ vorwiegend solche Patienten überwiesen, die als „therapieresistent“ oder „untragbar“ galten oder bei denen aus Sicht der herkömmlichen Psychiatrie von vornherein keine positive Veränderung ihres Zustandes erwartet wurde — die Klinik galt als Verwahr- und Abschiebeanstalt für die sogenannten „hoffnungslosen Fälle“.
Die Konzeption neuer, den Betreuungs- und Förderungsbedürfnissen der Patienten angemessener Hilfsangebote und Arbeitsmethoden stand deshalb im Mittelpunkt der Umsiedlungspläne. Und die oft mühevolle Vorbereitung und Umsetzung des Auflösungsprozesses, die vorangegangenen Entscheidungen in Politik und Planung sind auch Schwerpunkt des vorgestellten Buches. 1981 wurde zunächst die ehemalige Frauenstation 1 der Klinik zur „Enthospitalisierungsstation“ umgebaut, in der die Patienten auf ein Leben außerhalb der Anstalt vorbereitet werden sollten. Auf diese Weise konnten bis 1988 alle Patienten aus Blankenburg in Altersheime der Umgegend aber vor allem in verschiedene Kleinwohnheime und betreute Wohngemeinschaften in Bremen umgesiedelt werden, wo sie mit sehr individuellen Hilfsangeboten, der Art und dem Schweregrad ihrer Behinderung entsprechend, untergebracht und betreut werden konnten. Das Gerangel der verschiedenen freien Träger um die Zuschläge für die Gestaltung dieser „Nachfolgeorganisationen“ und die Auswirkungen der Umsiedlung für Betroffene und Mitarbeiter der Klinik wird in weiteren Kapiteln behandelt, und mit dem Versuch einer Bewertung schließt der Band.
Die Auflösung der Klinik Blankenburg hat Modellcharakter, denn die erfolgreiche Auflösung einer Langzeiteinrichtung in der Psychiatrie hatte es vorher in der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Sie steht als Synonym für einen veränderten Umgang mit psychisch Kranken, und wenngleich das Buch, in dem die Geschichte dieses Prozesses aufgeschieben wurde auch kein Rezeptbuch ist und sein soll, kann es doch nicht schaden — so die Herausgeber — wenn „andernorts verstärkt danach gekocht wird.“ Susanna Moßmann
Petra Gromann-Richter: „Was heißt hier Auflösung?“ Die Schließung der Klinik Blankenburg, Psychiatrie-Verlag, 19,80 Mark
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