piwik no script img

Peinlicher Maulkorb-Streit in der SPD: Wedemeier pfeift Senator zurück

■ Wie der Bremer Bürgermeister dem Staatsrat der Wirtschaftsbehörde, Dr. Frank Haller, den Maulkorb wieder abnahm

Darf ein leitender bremischer Beamter unter seinem Namen die Auffassung seiner Behörde in einem Buchaufsatz darstellen? „Wir werden das heute nicht kommentieren in irgendeiner Form“, sagte gestern früh der Pressesprecher des Bremer Wirtschaftssenators auf diese Frage. Am Donnerstag, also heute, sei der Senator aus dem Urlaub zurück, da werde es eine Stellungnahme geben.

Hinter der scheinbar so einfachen Frage schwelt ein höchstsensibler Konflikt politischer Eitelkeiten. Staatsrat Dr. Frank Haller, Leiter der Wirtschaftsbehörde, hatte für ein im Hauschild-Verlag geplantes Buch „Für Bremen — Versuch einer Bestandsaufnahme“ über die ökonomischen Bedingungen der Selbständigkeit Bremens die Auffassung der Wirtschaftsbehörde dargestellt. Ein sachlicher, völlig loyaler Text, versichert der Initiatitor des Bandes, der CDU-Politiker Ernst Müller-Hermann. Das Manuskript Hallers liegt im Verlag, aber — so Geschäftsführer Steinmeier — ob es gedruckt wird, wußte der Verlag gestern noch nicht. Am 29. April sollte das fertig gedruckte Buch eigentlich auf einer Pressekonferenz vorgestellt werden. Der Streit im Hause Beckmeyer hat den Zeitplan aber über den Haufen geworfen.

Im Vorfeld der Veröffentlichung hatte es unter Sozialdemokraten Verärgerung gegeben. Der Beitrag von dem CDU-Politiker Müller-Hermann erschien den SPD-Mitautoren nämlich zu polemisch, zu sehr auf Wahlkampf gestrickt. Mit gemischten Autoren, Dr. Kurt Rossa (SPD) hat das Vorwort geschrieben, sollte das Buch in der Vorwahlkampfzeit nicht als Wahlkampf-Beitrag erscheinen. „Da hätte ich auch nicht geschrieben“, sagt einer der Ko-Autoren, der Alt-Bürgermeister Hans Koschnick. „Aber Müller-Hermann hat sich korrigiert“, so konnten die Sozialdemokraten wieder mitmachen — bis auf einen, eben den Staatsrat Dr. Haller.

Wirtschaftssenator Beckmeyer sorgt sich im Wahljahr offenbar um seinen Ruf, zumal die absolute Mehrheit der SPD infrage steht und nach der Bürgerschaftswahl einem möglichen Koalitionspartner Senatoren-Posten freigemacht werden müßten. Einflußreiche Kräfte der bremischen Wirtschaft blasen zum Sturm auf die SPD-Mehrheit. Da muß es dem Senator ein Dorn im Auge sein, daß sein Staatsrat durch Reden und Schriften sich als der eigentliche Herr im Hause Beckmeyer darzustellen weiß. Anders ist kaum erklärlich, was Haller vor ein paar Wochen dem Buch-Koordinator Müller-Hermann (CDU) mitteilen mußte: Sein Chef, der Senator, habe ihm nahegelegt, den Beitrag zurückzuziehen. Der Sprecher der Wirtschaftsbehörde und auch der betroffene Staatsrat Haller wollten sich gestern früh zu dem Fall nicht äußern: Ihr Chef war zuhause in Bremerhaven, offiziell hatte er noch im Urlaub.

Nach der Veröffentlichung der Nachricht vom Maulkorb für den Staatsrat im „Kurier Am (Oster-) Sonntag“ hat Bürgermeister Wedemeier dann Dr. Haller angerufen und mit ihm vereinbart, daß der doch schreiben darf. Der Sprecher des Wirtschaftssenators wußte das gestern früh noch nicht, der Bürgermeister ließ aber über den Senatssprecher Dr. Sondergeld gestern mittag die neue Lage mitteilen: „Es gibt keinen Maulkorb für Dr. Haller.“ Will sagen: Es gibt keinen mehr.

Wirtschaftssenator Beckmeyer wird heute in sein Amt kommen und als erstes überlegen müssen, welche Sprachregelungung er zu dem peinlichen Vorfall findet. K.W.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen