: Romeo und Julia auf dem Schrottplatz
■ Der Berlinale-Bären-Film von 1990, Jiří Menzels »Lerchen am Faden« in der Filmbühne am Steinplatz
Ein aufrechter, glühender Kommunist ist nur der Milchmann. Der hat sich freiwillig zum Arbeitseinsatz in der Umerziehungsbrigade auf dem Schrottplatz von Kladno gemeldet. Alle anderen sind verkommene bourgeoise Subjekte der soeben untergegangenen kapitalistischen Gesellschaft und zwangsweise zur Umerziehung hier: Der Philosophieprofessor, der Herr (Ex)Staatsanwalt, der Saxophonist, der ehemlaige Kleinunternehmer, diverse Kleinkriminelle. Reaktionäre Unbelehrbare sind sie nach herrschender stalinistischer Lesart der CSSR Anfang der fünfziger Jahre. Dies gilt auch für die Frauen von der Sträflingsbrigade nebenan: geschnappte Republikflüchtlinge.
Dieser Mikrokosmos als Schauplatz einer hinreißenden Komödie hat die Berlinale-Jury von 1990 so begeistert, daß die immerhin schon 21 Jahre alte Literaturverfilmung von Jiří Menzel nach dem Roman von Bohumil Hrabal den Goldenen Bären bekam. Zuvor lag der Film seit 1969 ungezeigt in tschechischen Tresoren.
Die Episode mit dem Milchmann ist keine Schlüsselszene, eher eine Nebensächlichkeit. Aber eine sehr typische, was den schillernden, feinen Humor des Films anbelangt. Denn ausgerechnet der kommunistische Milchmann wird von den Trenchcoat-Genossen vom Geheimdienst als erster abgeholt und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Zu laut hatte er bei den Genossen Funktionären sozialistische Grundsätze eingeklagt. »Die Frage ist nicht«, kommentiert dies streng marxistisch-materialistisch der zum Hilfsarbeiter degradierte Philosophieprofessor, »wo die Moral hingekommen ist, die Frage ist, wo der Milchmann hingekommen ist.«
Hinterfotziger geht's nicht mehr. Der angeblich reaktionäre Philosophieprofessor schlägt die Stalinisten mit ihrer eigenen materialistischen Ideologie. Und die merken es nicht einmal. Überlegenheit — und dies zieht sich durch den ganzen Film — entsteht bei Menzel/Hrabal aus Humor, Bauernschläue, Menschlichkeit. Individualistische Tugenden, denen der Stalinismus nicht gewachsen ist.
Schon gar nicht, wenn Liebe ins Spiel kommt. So dumm und brutal kann kein Regime sein, so hoffnungslos und trist keine Situation, daß Unterdrückte nicht doch dieses Herzflimmern kriegen, daß es nicht doch im Unterleib kribbelt. Pavel, der jüngste aus der Männerbrigade hat sich in eine schöne Gefangene von nebenan verguckt. Schmachtende Blicke werden ausgetauscht, Lächeln über Alteisenberge versucht, flüchtigste Berührungen erzeugen erotische Hochspannungen. Zum Schreien komisch: Als der Genosse Parteisekretär ein sozialistisch umerzogenes Musterpaar für die Wochenschau zusammenarrangieren muß, wählt er ausgerechnet die beiden Verliebten aus.
Mitten im schnell aufgebauten Blumenkübel-Transparent-Kitsch- Ambiente der Propagandatruppe versinken diese nun per Befehl vereint in schier unendliche Sekunden voll Glückseligkeit und Selbstvergessenheit. So störrisch schön wie der Prager Schauspieler Václav Neckář mit seinen tiefblauen Augen in die Kamera schmachten kann, so unergründlich zurückhaltend beantwortete dies die Angebetete (Nada Urbánkowá) jeweils mit einer winzigen Spur von Lächeln.
Und keiner, nicht einmal der Aufseher, findet sich auf dem Schrottberg, der sich dem Charme dieser Romeo-und-Julia-Romanze entziehen kann. Verschwörern gleich wird das kleine Glück zur Kollektivsache — auch wenn der Stalinismus die endgültige große Vereinigung der beiden immer wieder brutal verhindert.
Eros, der Konterrevolutionär, macht aber auch vor den Genossen nicht halt. Der Aufseher heiratet eine junge Zigeunerin — und die treibt den spießigen jungen Sozialisten in der halbfertigen Platten-Neubauwohnung an den Rand des Wahnsinns. Ohne Planerfüllungsbewußtsein läßt ihn die Unbezähmbare einfach nie ran. Was schreibt bloß Papa Marx über ungenutzte Erektionen? — fragt sich der solidarische Zuschauer.
Noch grotesker erwischt hat's den fetten Genossen Parteisekretär. Ganz nach Parteitagsbeschluß ist der auch in der Freizeit noch für den neuen Menschen tätig. In Sachen sozialistische Volksgesundheitsfürsorge und Hygiene: Einmal wöchentlich schrubbt der Hundertfuffzigprozentige ein blutjunges Zigeunermädchen in der Badewanne von Kopf bis Fuß ab. Voll Aufopferung vergißt er dabei auch nicht eine Stelle des mit der Hygiene zu beglückenden Körpers.
Daß Hrabal/Menzel mitten in den sechziger Jahren solches Gedankengut im staatlichen Filmbetrieb überhaupt anfaßten, ist ein schlagendes Argument gegen all jene, die dem Werk nun den vermeintlichen heroischen Stempel des Antikommunismus aufdrücken wollen. Dennoch wird es der Film weiterhin schwer haben.
Schade. Denn garniert mit wunderbar hintersinnigen kurzen Dialogen erzählt der Film eben nicht eine oberflächliche antikommunistische Geschichte von der Unmenschlichkeit des Stalinismus oder vom grundsätzlichen Scheitern des Sozialismus als solchen. Nein, er ist eine bitterböse, subversive tschechoslowakische Liebeserklärung an alles Kleine, Nichtbombastische, Nichthistorische, Nichternsthafte. Zärtlichkeit — das ist eben gerade nicht die naiv-dümmliche Nettigkeit der Versager und Unterdrückten. Zärtlichkeit ist eine Zeitbombe. Thomas Kuppinger
Lerchen am Faden, (Skřivánci na nitích), CSSR 1969, Filmstudio Barrandov, Farbe, 100 Min., Regie: Jiří Menzel nach dem Roman von Bohumil Hrabal. Ab heute in der Filmbühne am Steinplatz.
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