: Faschisten unterm Fußballplatz
■ Albanische Kurz- und Langfilme im Sputnik
Das Bild der Wirklichkeit kommt aus dem Fernseher. Das Fernsehbild lockt in eine andere Welt. Erstaunt und ein wenig anklagend blickt die Westkamera dann auf die, die sich haben locken lassen und nicht nur ihr System, sondern auch die Bilder ihres Systems zu verachten gelernt haben. Secam Ost ist inzwischen überflüssig. So ist auch ein wenig Melancholie dabei, wenn sich das Kino noch einmal sozialistisch präsentiert. In einer albanischen Filmwoche zeigt das Sputnikkino fünf Spielfilme, neun Kurzfilme und zwei Dokumentarfilme, die zwischen 1976 und 1989 entstanden sind. Für uns sah sie Detlef Kuhlbrodt
Mit einem herzlichen »Willkommen in Albanien« begrüßt uns Todi Bozi im Eröffnungsfilm. Mit neugierigen Augen »begleiten wir verschiedene Touristengruppen zu den landschaftlichen und kulturellen Sehenswürdigkeiten des Landes« (Info). In dem eher heimatkundlichen Film Festung der Lieder, werden Lieder aus den verschiedenen albanischen Regionen in ihrem historischen und lokalen Kontext dokumentiert. Doch das Hauptthema der albanischen Filmproduktion ist die Auseinandersetzung mit der Besatzungszeit unter dem italienischen Faschismus: In Roter Mohn auf der Mauer von 1976, dem ersten international erfolgreichen Film Albaniens, zeigt Dimiter Anagnosti, wie der italienische Direktor eines Waisenhauses Kinder für die Zwecke der faschistischen Ideologie einzuspannen sucht. In General Grammophon geht es um den Versuch italienischer Faschisten, Albanien ideologisch und kulturell zu vereinnahmen. Ein Geschäftsmann nimmt die bekanntesten albanischen Volksmusiker unter Vertrag, um mit ihrer Hilfe die italienische Musik populär zu machen. Natürlich geht seine Rechnung nicht auf.
Zwei Filme sind nach Büchern des bekanntesten albanischen Dichters Ismail Kadare gedreht, der erst vor einigen Monaten in den Westen emigrierte. Zerrissener April handelt von der Rolle des Intellektuellen in der Gesellschaft. Im April 1939, am Vorabend der faschistischen Invasion, wird ein Schriftsteller auf seiner Hochzeitsreise ins albanische Hochland mit den Gesetzen der Blutrache konfrontiert. Die Rückkehr der toten Armee von Dhimiter Anagnosti spielt nach dem 2. Weltkrieg: Ein italienischer Priester und ein General kommen nach Albanien, um die Gebeine italienischer Soldaten zurückzuführen, die im Kampf gegen die albanischen Widerstandskämpfer gefallen sind. Der 1989 gedrehte Film könnte jedoch überall entstanden sein; nicht nur Farben, Ästhetik und Dramaturgie, sondern auch die Schauspieler fügen sich den herrschenden westlichen Maßstäben. Der immer rauchende General einer toten Armee erinnert z.B. ganz auffallend an Robert de Niro. Der Konflikt zwischen den Italienern, die die Albaner eigentlich hassen, aber auf ihre Hilfe angewiesen sind, und den Dorfbewohnern, die die Nachfahren der Faschisten verabscheuen, ist fast schon zu sauber inszeniert. Dennoch gibt es genug interessante Details und Szenen, die den Film sehenswert machen: Unter dem Fußballplatz sind die Faschisten begraben, ein albanischer Fußballtrainer, ziviler General des Rasens, versumpft in aller Freundschaft mit dem General. Und der General der Toten und der General des Rasens sprechen betrunken eine Nacht lang über die großen Menschheitsfragen: Wer sind wir, woher kommen wir, was machen wir, wohin gehen wir?
Mit dem Untergang des Systems scheinen auch seine komischen Möglichkeiten verschwunden zu sein. Seit ein paar Jahren gibt es fast nur noch Depressives aus dem ehemaligen sozialistischen Herrschaftsbereich zu sehen. Bei albanischen Kurz- und Langfilmkomödien dagegen kann man aufatmen. Nicht, weil die Welt so schön wäre, sondern weil Komik am besten dort zu funktionieren scheint, wo der einzelne einem absurden Bürokratenapparat nicht nur gegenübersteht, sondern immer auch — irgendwie, vielleicht mit dem unwichtigsten aller Rädchen verzahnt, und so Teil der Macht ist.
In Mal so, mal so von Bujar Kapexihu, einer »zeitgenössischen Komödie um Liebe, Moral und gesellschaftliche Ansprüche« bilden sich Reihen komischer Szenen, die sich nur langsam ordnen; das funktioniert etwa so, wie die Schar junger Mädchen, die im Gänsemarsch schnatternd im Treppenhaus die klaviertragenden Arbeiter lustig stören: Am Ende der Mädchen erscheinen die Eltern. »So ist das also«, denkt der Zuschauer, doch bevor mit Erscheinen der Eltern aus den Mädchen Töchter werden, gibt es einen Kinderwagen und vor allem den dicken Bauch der Mutter: Es geht also immer weiter. Statt lähmender Identifikationen werden die Themen und Personen auf allen Theater- oder Komödienebenen variiert; mit deklamatorischer Geste antwortet die Filmwirklichkeit auf ihre Darstellung im Theater, in der Zeitung oder im Schlager. Immer wieder brechen Schreibtische zusammen und Leute fallen ansteckend in Ohnmacht.
Die wirkliche Liebesgeschichte, die den Film ordnen will, findet ihre Fortsetzung in einer Romeo-und-Julia-Aufführung oder umgekehrt. Ein verliebter Liebesschnulzensänger, der vom progressive Artikel schreibenden, aber in Wirklichkeit reaktionären Vater seiner Angebeteten abgelehnt wird, macht die Musik dazu.
Da zitiert das Liebespaar eine Schar unannehmbarer Liebhaber — Soldaten, verrückte Maler usw. —, die, vom wirklichen Liebhaber gespielt, die elterliche Wohnung belagern, um den einen um so schöner hervortreten zu lassen. Die Tochter behauptet ihre Liebeswahl gegen die Heiratsvorstellungen ihres Vaters, und der solide Diplomat, den der Alte ausgesucht hat, findet auch deshalb keine Gegenliebe, weil er sich nur in den Alpträumen der Tochter vervielfältigen kann; in einer Traumsequenz zieht er in seinem Mercedes eine Karawane aus störrischem Maultier und der versklavten Träumerin hinter sich her. Am Ende gewinnt der Schlagersänger, nun unendlich vervielfältigt in Radio und Rundfunk, beim Schlagerfestival, doch der schönste Preis ist natürlich immer die Geliebte, der er unter dem Balkon ein Ständchen bringt.
Altbewährte Genregesten — sich an den Kopf hauen, wenn man was kapiert hat, in Ohnmacht fallen, robuste Körper (fast ein jeder hat einen sympathischen Bauchansatz) —, flotte Musik, kitschigschöne Blassgrün-, Türkis-, Rot- und Orangetöne, helleuchtende Blumen und vor allem ganz wunderbar mauvefarbene Jackets erfreuen den Zuschauer dieses Films und lassen ihn zusammen mit dem Vertreter des Vorsitzenden der Deutsch-Albanischen Freundschaftsgesellschaft, der etwas enttäuscht war, daß sich nur drei Journalisten eingefunden hatten, zum ersten Mal in West-Berlin eine größere Werkschau des albanischen Kinos zu sehen, das Beste für die Zukunft des weniger lustig zerbrechenden Berglandes hoffen.
Albanische Filmwoche; vom 4.4. bis zum 10. 4.; Anfangszeiten: siehe La Vie. Alle Filme OmU (leider nur englisch).
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