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Opulenz der Geschmacklosigkeiten

■ Pedro Almodóvars Film „Womit hab' ich das verdient“

Nach den Erfolgen von Matador, Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs und Fessle mich werden jetzt auch die älteren Filme von Pedro Almodóvar ausgegraben und in die Kinos gebracht. Womit hab' ich das verdient?, 1984 gedreht, erzählt vom ganz normalen, elenden Leben einer Hausfrau in einer Arbeiterfamilie.

Carmen Maura spielt Gloria, die unscheinbare geplagte Hausfrau. Meist trägt sie Kittelschürze und balanciert nahe an einer nervösen Attacke. Wenn sie nicht virtuos durch die enge Hochhauswohnung wischt oder zwecks Gelderwerbs putzen geht, kommt sie mit ihrem taxifahrenden Ehemann Antonio (Angel de Andrés López) zwischen Tür und Angel den ehelichen Pflichten nach. Derweilen sieht die verschrobene Oma (Chus Lampreave) im Nebenzimmer fern und wartet auf ihren bekifften 14jährigen Enkel Toni, der sich alsbald auf ihrem Rock übergeben wird. Zwischendrin taucht Almodóvar himself im Fernseher auf. Er trägt ein Torerokostüm und playbackt melodramatisch ein Lied. Wenig später verschachert Gloria ihren jüngsten Sohn Miguel an einen Päderasten-Zahnarzt, um sich endlich einen Lockenstab leisten zu können. Irgendwann hockt die Oma am einarmigen Banditen, während Gloria sich mit „Minilip“ putscht und kurz danach ihren Ehemann mit der Schinkenkeule erschlägt.

Die Familiengeschichte wird lakonisch und grell manieristisch erzählt. Die Figuren sprechen derb und handeln vulgär. Nicht nur verbal wird gekotzt, gefickt und gepißt. Aus alltäglichen Begebenheiten entwickeln sich absurde Verstrickungen. Scheinbar zufällig hangelt Episode an Episode. Die Szenen sind prall gefüllt und rasant montiert — anders als in General Hospital, wo Laura und Luke sechs Folgen brauchen, um das Menü im Restaurant aufzuessen. Almodóvar komprimiert Erzählfragmente und konzentriert sie auf eine Familie und einen Schauplatz.

In der Drei-Zimmer-Wohnbox des suburbanen Madrider Hochhauses ist es unerträglich eng. Zusammen mit der Familie pfercht sich die Kamera unauffällig zwischen die Wände, um die Akteure frontal, aus geringer Distanz und in Augenhöhe bei ihrem alltäglichen Hin und Her zu beobachten. Das Ambiente ist dicht, gemusterte Tapeten verkleinern die Räume optisch. Sorgfältig plazierte Mengen kleiner Ziergegenstände unterstützen das Gedränge. Angestaubte Plastikblumen, altrosa Häkeldeckchen und papageienbunte Jesusbilder sind bei Almodóvar mehr als bloßes Dekor. Das Geschmacklose hat System. Wenn Nippes geballt kommt, wird aus der Opulenz der Geschmacklosigkeiten eine beklemmende Öde und gräßliche Tragik.

Womit hab' ich das verdient? ist auf den ersten Blick ein unfaßbar häßlicher und grauenvoll banaler Film. Auf der Oberfläche des kitschigen Alltas und alltäglichen Kitsches kann jedoch ganz wunderbar in den Bildern gestöbert werden. Denn bei Almodóvar ist das Gesehene offensichtlich meist auch das, was es eigentlich nicht ist. Wenn Gloria ihren Lockenstab umklammert, während sie ihrer Nachbarin, der Prostituierten Cristal, zwecks Kundenbetreuung voyeuristisch zur Seite sitzt, mutiert das Frisierutensil vom stacheligen Phallus zum Symbol des fehlgeschlagenen kleinen Befreiungsakts der frustrierten Hausfrau.

Die Absurdität des Banalen und die Banalität des Absurden verdichten sich im Verlauf des Films zur häuslichen Komödie, sozialkritischen Satire, zum hemmungslosen Melodram und grotesken Horrorfilm. Alles ist, wie häufig bei Almodóvar, ausgesprochen witzig und ausgesprochen traurig. Man kann es kaum mitansehen. Michaela Lechner

Pedro Almodóvar: Womit hab' ich das verdient? Mit Carmen Maura, Angel de Andrés López, Chus Lampreave. Spanien 1984, Farbe, 102 Min.

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