: Offizieller Bericht: In China wird weiter gefoltert
Berichte der obersten Justizvertreter vor dem Nationalen Volkskongreß/ Generalstaatsanwalt bestätigt fortwährende Anwendung der Folter durch die Strafverfolgungsbehörden/ Allein in Peking laufen rund 800 Verfahren gegen Dissidenten ■ Aus Peking Simon Long
Chinas Rechtsorgane wenden weiterhin Folter an. Dies hat gestern der chinesische Generalstaatsanwalt Liu Fuzhi in einem Bericht an den Nationalen Volkskongreß bestätigt. Im vergangenen Jahr habe seine Abteilung mehr als 472 Fälle von Geständnissen, die durch Folter erpreßt worden waren, ebenso wie mehr als 3.500 Fälle unrechtmäßiger Haft und 461 Rechtsverfolgungen aufgrund „falscher Anschuldigungen“ aufgedeckt. Diese Feststellung führte er nicht weiter aus, erklärte aber, alle für die Folter Verantwortlichen seien bestraft worden.
China hat bisher routinemäßig alle Anschuldigungen internationaler Menschenrechtsorganisationen zurückgewiesen, politische und andere Gefangene zu mißhandeln. Zu weitverbreitetem Mißbrauch führt nach Feststellung auch des Menschenrechtsbericht 1990 des US-Außenministeriums, daß die chinesische Justiz von Geständnissen als Basis für Verurteilungen ausgeht. Dazu zählt die Anwendung von elektischen Schlagstöcken, Elektroden, Schlägen und Eisenfesseln.
Der nun von Liu vorgestellte Katalog der Fälle, die seine Abteilung ausgegraben hat, repräsentiert jedoch offenbar nur einen kleinen Teil der Mißbräuche, die in China im Namen des Rechts verübt werden.
Seine Rede vor den fast 3.000 dösenden Delgierten des NVK war, ebenso wie der gestern vorgetragene Bericht des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, Ren Jianxin, Teil der „amtlichen Beerdigung“ der Proteste von 1989. Ren erklärte, die Prozesse gegen die Dissidenten seien nun „im Prinzip“ abgeschlossen.
715 Personen, so fuhr er fort, seien wegen 490 Fällen von „Schlägereien, Zerstörung, Plünderung, Brandlegung und Tötung“ im Zusammenhang mit den Protesten abgeurteilt worden. Gegen weitere 72 Personen, die in 62 Fällen von „Aufwiegelung“ angeklagt wurden, habe es ebenfalls Verfahren gegeben.
Seit Beginn des Jahres ist mindestens 30 Dissidenten in Peking der Prozeß gemacht worden, die meisten von ihnen unter der Anklage der „konterrevolutionären Aufwiegelung und Propaganda“.
Die von Ren aufgelisteten Zahlen beziehen sich allerdings nur auf Peking. Sie ignorieren hunderte oder tausende von Personen, die in den Provinzen im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme an den Protesten von 1989 festgenommen worden waren. Unerwähnt blieben ebenfalls mindestens 900 Menschen, die in Peking bis zu 20 Monate ohne Anklage in Haft genommen worden waren.
Die Gerichte hätten gegenüber den Angeklagten „Milde“ walten lassen, erklärte der Oberste Richter weiterhin, und „große Anstrengungen unternommen, die angeklagten Studenten zu erziehen“. In der Tat sind bei den Prozessen, die in diesem Jahr in Peking öffentlich gemacht wurden, nur die vorgeblichen Drahtzieher der Demokratiebewegung, Wang Juntao und Chen Ziming, zu Haftstrafen über sieben Jahren verurteilt worden. Sie mußten für jeweils 13 Jahre ins Gefängnis.
Doch der Bericht von Ren macht auch deutlich, daß es für die Mehrheit der Fälle, sogar in Peking, nicht einmal jene Alibi-Öffentlichkeit gegeben hat, die den Prozessen der bekannteren Dissidenten zugestanden wurde.
Sowohl Ren als auch Liu rechtfertigten die Repression, die auf die Proteste der demokratischen Bewegung folgte, als notwendig für die „Stabilität“ des Landes, die nun, wie sie erklärten, „im Prinzip“ erreicht worden sei. Dennoch, so erklärte Liu, sollte „die Lage in einigen Gebieten nicht unterschätzt werden“. „Das Problem von Recht und Ordnung in einigen Städten und dörfern ist schlimm“, und die „öffentliche Unzufriedenheit ist relativ groß“. Einige Bürger nähmen das Gesetz in ihre eigenen Hände, klagte er, und dies besonders in zivilen Streitigkeiten, wie beispielsweise um Eheschließungen und im Wirtschaftsbereich. Dies, sagte er, „spiegelt die Tatsache wider, daß es vielen chinesischen Staatsbürgern an Rechtsbewußtsein mangelt“.
Beide Funktionäre zeichneten ein alarmierendes Bild der zunehmenden Kriminalität in China. 15.719 Mörder wurden im vergangenen festgenommen, desgleichen 386.500 Räuber und Einbrecher. Der Generalstaatsanwalt erklärte, ein weitverbreitete Erscheinung sei das Entstehen von Gangsterbanden. Diese tendierten mehr und mehr dazu, sich zu Triaden (eine Art chinesischer Mafia) zu entwickeln, die mit bestehenden Triaden außerhalb Chinas zusammenarbeiten.
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