: Goethen hörig
■ Jochen Hörisch, das erotische »Tagebuch«-Gedicht und die Freie Volksbühne
Aus der Freien Volksbühne flattert uns ein sogenannter »Handzettel« entgegen. Den Handzettel in der Hand begreifen wir jedoch nicht gleich ganz, worum es sich handelt: »Mein Gott, Goethe«, seufzt die Überschrift auf Himmbelblau. Und in geziemendem Abstand unter Gott und unter Goethe kündigt sich ein Vortrag mit »Prof. Dr. Hörig« an. Also ein formeller Professor-Doktor-gar ist schon mal dabei, einen eigenen (Vor-)Namen hat er nicht, nur hörig ist er — soviel ist gewiß. Allerdings wissen wir nicht wem. Ferner wissen wir mit wem der Vortrag ist, aber nicht von wem. Doch davon später.
Auf dem »Handzettel« steht: »Goethe ist das Totemtier der deutschen Kultur. Man verehrt sein Leben und sein Werk, um es nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen. Die deutlichste Weise einer solchen Verleugnung sind Auslassungszeichen und Gedankenstriche selbst in sorgfältigen Ausgaben. Die Wiedergabe von Goethes erotischem 'Tagebuch'-Gedicht ist in vielen Ausgaben von Auslassungen entstellt. Das ist nicht verwunderlich: denn Goethes Gedicht selbst läßt Entscheidendes aus und ungesagt und ist gerade deshalb von skandalträchtiger Aussagekraft.« Das ist nicht verwunderlich, daß der Vortragende selbst sich da als Autor lieber ausläßt.
Dennoch. Wer war's bzw. wird' s heute abend um 20 Uhr 30 sein in der Kassenhalle der Freien Volksbühne?
»Der Mannheimer Germanist Jochen Hörisch möchte versuchen, Goethes reizvolles Spiel von Sagen und Versagen auf- und auszusagen.« Der »Handzettel« verspricht da ja schon viel. Gleichsam, quasi.
Und um das Überdeterminierungsmaß vollzumachen: Das letztemal durfte ich einem Vortrage dieses einen meiner Lieblingsgermanisten (»Grüß Gott!«) und Scientertainer nämlich in Kassel beiwohnen und zwar bei einer Tagung zum Thema Hören, was ja — wie jede Amme weiß — mit Hörigkeit so was von zu tun hat!
Gabriele Riedle
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