: Skin Side Story
■ Ein Nachtrag zum Musical »Heißt du wirklich Hasan Schmidt«
Iin einer Werbeankündigung des Senats und des Neuköllner Kunstamtes zu dem von ihnen finanzierten Stück »Heißt du wirklich Hasan Schmidt« heißt es: »Wir versuchen mit dieser Produktion einen Beitrag gegen die verstärkt aufflammende Ausländerfeindlichkeit zu leisten.« Der Erfolg bei Jugendlichen — gleich welcher Coleur — scheint ihm recht zu geben: Mit der Westside- Story zwischen Skin- und Türkenbanden scheinen sich beide Lager zu identifizieren (die taz berichtete). Eine tolle Idee, aber bitte nicht mit Skinheadmärchen, findet Yalcin Baykul, Regisseur im Jugendzentrum Naunynritze.
Der Hauptdarsteller Matze Schmidt ist ein sensibler Mensch, aber »unglücklicherweise« mit einer Gruppe Skins befreundet. Da fängt die Geschichte schon zu stinken an. Um Matze und Skins in einen Topf werfen zu können, läßt ihn Regisseur Detlef Winzgen die Rolle des Blöd-Naiven und Tolpatschigen spielen. Er ist zwar als ein innerlich humaner Mensch gegen jegliche Schweinereien seiner Freunde, kann das aber wegen Erpressung ihrerseits nicht zeigen. Wir wollen raus, diesen Song singen sie gemeinsam.
Das Wort »Raus« mögen die Reps und Skins sehr, aber wohl kaum in diesem Sinne. Wie bekannt, bezieht sich dieses »Raus« mit ihren Parolen einzig und allein auf die Türken bzw. Ausländer. Mit diesem starken Lied sind die tanzenden Skins und Matze, der in dieser Atmosphäre umgeben von seinen Freunden absolut aufblüht und seine unwohlen Gefühle ablegt, mit kräftigem Applaus von Seiten der begeisterten Zuschauer belohnt worden.
Dann wird die Bude eines alten Postbeamten auf »äußerst ästhetische und wirkunsgvolle« Weise demoliert. Matze macht mit — der Zwang durch seine Freunde läßt seine »eigentliche« Humanität verstummen. Plötzlich rote Beleuchtung auf der Bühne. Jetzt muß auf dem Schlachtfeld etwas Gefühlvoll-Exotisches geschehen: richtig. Das schwarzhaarige Nachbarmädchen Sirin gießt die Blumen am Fenster und wird dabei von Matze beobachtet. Ihre Blicke treffen sich... — und wie nicht anders erwartet: Liebe auf den ersten Blick (welche abgenutzt kitschige Variante) gekoppelt mit Faschismus. O yeah! Das ist neu.
Da muß der arme Matze schon sehr von Dummheiten geschlagen sein, daß er die Kanakenwitze seiner Kumpane nicht wahrnimmt. Im Englisch-Unterricht — unrealistischerweise sind die Schüler ausschließlich gegen Skins und Türken — projiziert sein rotgestiefelter Freund ein Dia, auf dem ein am Galgen hängender Mensch zu sehen ist. Daneben: »So einen Türken liebe ich.« Unter den Jugendlichen sekundenlanges eisiges Schweigen. Dann steht ein türkischer Jugendlicher auf und malt darauf »TC« — übersetzt: Türkische Republik. Was für eine Phantasie? Werden hier die Skins mit der türkischen Regierung gleichgestellt oder werden sie durch die türkische Regierung legalisiert? Oder meint der Regisseur etwa, euer Staat geht ja noch gewalttätiger mit euch um als die Skins?
Im Musical sind die Skins die lebendigsten Personen, sie sprühen nur so ihre Witze in den Saal, tanzen, singen, zeigen — oh — so herzzerreißende Liebesgefühle. Wenn sie im Vordergrund stehen, ist Action angesagt, und die Zuneigung der Zuschauer ist ihnen sicher. Ganz anders die Ausländer, in solchem Maße karikiert, konnte ich sie nicht mal als Landsmann erkennen. Von Lebendigkeit keine Spur. Da gibt es eine konservative Vater-, eine Gemüsehändler-, eine Restaurantbesitzer- Figur, die immer wieder nur für ein einziges leben: Hochzeit. Die Jugendlichen verkörpern eine waffenschwingende, von Stummheit geprägte Masse.
Als der Vater erfährt, daß seine Tochter einen deutschen Jungen mag, brüllt er wie seine türkischen Vorväter. Dann von seiten der Verwandten ein genialer Vorschlag: »Dann färb' ihm doch die Haare schwarz und nenn' ihn Hasan.« So einfach geht das. Die Menschen — gezeigte Karikaturen, die wir mit Farbe ausmalen und fertig. Sirin opfert einige Haarspitzen, schon hat Hasan einen Schnurrbart. Ein Türke ohne Schnurrbart — unmöglich!
Irgendwann verkündet Hasan mit ehrlichem Ton: »Ich würde nicht Türke sein wollen. Ich wäre zurück in die Heimat gegangen.« Genau das würde Herr Kohl auch gerne sagen. Als einer von Hasans alias Matzes Freunden von Sirins Bruder verletzt wird, verzichtet er bei der Polizei auf eine Anzeige, obwohl ihm wegen des Messerstiches in der Schulter das Heulen kam. Hasan, immer noch nichts kapierend, lädt seine Freunde in ein türkisches Restaurant ein. Diese nehmen die Einladung an und begrüßen die sich höflich verbeugenden Besitzer sogar mit einem Gruß. Sie werden von den türkischen Jugendlichen rausgeschmissen. Also, ist ja nicht zu fassen.
Am Ende lassen alle ihre markanten Hüllen fallen und singen Hand in Hand, Schulter an Schulter ein Lied für Frieden und Toleranz nach Andi Brauers toller Musik. Und der enthusiastische Beifall des Publikums zeigt, wieweit die Skins auf ihrem Legalisierungsweg gekommen sind. Das tut mir leid.
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