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Straßennamenwende in Lichtenberg

■ Die Hermann-Duncker-Straße soll wieder Treskow-Allee heißen/ Mit dem alten Sozialdemokraten will man nichts mehr zu tun haben/ Deutschnationaler Treskow soll wieder zu Ehren kommen

»Es kann nicht sein, daß in Ost-Berlin überwiegend kommunistische Straßennamen bleiben!« Dem Lichtenberger Bürger trieb es den Zorn ins Gesicht. Als er hörte, daß dem »Ausschuß für Rück- und Neubenennung von Straßen und Plätzen im Stadtbezirk Lichtenberg« zur Zeit über 2.500 Unterschriften für den Erhalt des Straßennamens »Hermann-Duncker« vorlägen, dagegen nur etwa 1.000 Stimmen für eine Rückbenennung derselben Straße in »Treskow- Allee« votierten, sah er rot: Aus Hermann Duncker (1874-1960), einem Berliner Sozialdemokraten und Gewerkschafter, der von den Nazis ins Exil getrieben wurde und nach 1945 wieder in die DDR zurückkehrte, aber dort weder der SED noch einer ihrer Organisationen beitrat, machte er einen bösen Kommunisten, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es geht schließlich um ostdeutsche Vergangenheit und die Abrechnung mit ihr.

Zu der ersten »öffentlichen Versammlung zur Straßenumbenennung im Bezirk Lichtenberg«, zu der am vergangenen Dienstag abend auf Einladung der BVV-Lichtenberg und initiativ gewordener Bürger (Motto: »Gegen starke PDS und alte Stasi-Kräfte«) geladen hatten, waren rund 250 Personen in die Aula der Hochschule für Ökonomie gekommen.

Anstatt »miteinander reden zu lernen«, wie der Moderator der Bürgerbefragung, Ausschußmitglied Frank Börner (SPD) forderte, anstatt zu »überlegen, ob wir nicht auch mit diesem Teil der Geschichte können«, so eine Bürgerin, ging die Anti-Duncker-Fraktion im Saal wütend in die Offensive. Es gelte ein »Signal« zu setzen, tönte einer (»Ich bin kein Nazi!«) aus dem Publikum. Mit der Straßenumbenennung müsse die Wende »endgültig« vollzogen werden. »Figuren« wie Hermann Duncker hätten »schon aus Gründen der Umweltpolitik« darin keinen Platz mehr, hetzte ein anderer ins Mikro. Um der öffentlichen Hygiene Rechnung zu tragen, solle man Duncker »schleifen«, die historischen Namen müßten wieder her, fand ein anderer erregter Bürger.

Duncker, das war den Kommunistenfressern klar, sollte dran glauben, für die ungeliebte Vergangenheit, miese Gegenwart und schlechte Zukunft. Die ewig zu kurz gekommenen Spießer wollten, daß jetzt ihnen recht geschieht; hier im Kleinen, bei der Straßennamenwende. Und endlich mit der Mehrheit im Rücken.

Der Ausschuß, so berichtete dessen Vorsitzender Ihme (PDS), hatte nach einer kontrovers geführten Diskussion durch Mehrheitsbeschluß mit den Stimmen der beiden CDU- und drei SPD-Vertreter und gegen die Mitglieder von PDS (3) und Bündnis 90 (1) der Lichtenberger BVV für die Sitzung Mitte April empfohlen, mit der Hermann-Duncker- auch die Jacques-Duclos- und Ho-Chi-Min- und später die Fritz- Schmenkel-Straße sowie die Straße der Befreiung zurückzubenennen. Die ursprünglichen Vorkriegsstraßennamen (wie Weißenseer Weg oder Alt-Friedrichsfelde) sollten wieder angeschraubt werden. Und, gäbe es Zweifel an der Integrität früherer Namensgeber, solle man sich auf heimatverbundene »Berliner« Persönlichkeiten einigen.

Wird die Treskow-Allee mit den Stimmen von SPD/CDU/FDP/DSU wiedererstehen, müssen die Fraktionen sich fragen lassen, wie wendlerisch sie sich eigentlich noch anstellen wollen, angesichts der Vita des Namenspatrons.

Karl Sigesmund von Treskow bewohnte seit 1816 das Schloß Friedrichsfelde. Der adelige Herrenreiter war zwar mit Karlshorst immer aufs engste verbunden, hat aber 1893 eine Kolonie für kaisertreue Kriegsveteranen gegründet: Er war militaristisch, deutschnational, durch und durch erzkonservativ. Die Familie bewohnte bis 1945 das Schloß. »Die von Treskows waren wunderbare Menschen«, schwärmte eine 1912 in Lichtenberg geborene Altmonarchistin und bekam Tränen der Rührung in die Augen.

Wie dreist Vergangenheit ungeschehen gemacht werden soll, erlebt man nicht nur beim Bildersturm auf Denkmäler, Erinnerungstafeln und Namensgeber für öffentliche Einrichtungen. Gerade letzte Woche wurden die Namen der »Dichterklasse« der »Weißen Flotte« abgewickelt. Dabei wurden mit Johannes R. Becher und Bert Brecht auch Heinrich Mann gegen Landschaften aus den fünf neuen Ländern ausgetauscht.

Es reicht nicht mehr, auf alte Stalinisten Jagd zu machen. Im Falle Duncker sollen auch Sozialdemokraten dran glauben. Und wenn in alten SED-Zeiten einmal etwas Richtiges aufs Straßenschild gehoben war, muß es ebendarum wieder weg. Und wir haben ja so wenig Treskow-Straßen. Allein in Ost-Berlin gibt es bislang nur vier plus eine Brücke! Da hilft die Berliner Straßenordnung: Danach darf es in Berlin nur eine Treskow-Straße geben. rola

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