: Staatsschutz fahndet nach Schollene
■ Zweites Bekennerschreiben nach Brandanschlag auf Treuhandanstalt/ Ein Teil der entwendeten Unterlagen wurde 'der anderen‘ und der Gemeinde Schollene zugeschickt/ Bundesanwalt ermittelt
Berlin. Sechs Tage nach dem Brandanschlag auf die Treuhandanstalt in der Schneeglöckchenstraße meldete sich gestern die Gruppe »Thomas Münzers Wilder Haufen« in einem zweiten Bekennerschreiben zu Wort. In dem Schreiben kündigte die Gruppe an, das bei dem Anschlag im Zimmer des Vertrauensbevollmächtigten entwendete »Material« der Zeitung 'die andere‘ zukommen zu lassen. Nach Angaben des Redakteurs 'der anderen‘, Kempe, trafen die Unterlagen bereits am Mittwoch in der Redaktion ein. Das Paket habe »wie ein Wickelkind« in mehreren Umschlägen verpackt vor der Tür gelegen. Die Unterlagen seien noch am selben Tag vom Treuhand-Vertrauensbevollmächtigten im Beisein des Staatsschutzes abgeholt worden.
Kempe zufolge handelte es sich bei den Schriftstücken im wesentlichen um Beschwerdebriefe von Betriebsangehörigen, die Mitglieder der Geschäftsleitung bezichtigten, alten Seilschaften anzugehören. Der Redakteur verwies darauf, daß die Papiere von 'der anderen‘ nur grob durchgesehen worden seien, um die Herkunft zu ermitteln. Man habe aber den Eindruck gehabt, daß es sich bei den erhobenen Beschuldigungen um eine recht »oberflächliche Verdachtsebene« handele. Die Entscheidung, die Unterlagen zurückzugeben sei »aus journalistischer Sorgfaltspflicht« getroffen worden, weil die Unterlagen »durch eine kriminelle Tat« in den Besitz 'der anderen‘ gelangt seien.
Ungeklärt ist bislang, wo die übrigen aus der Treuhandanstalt verschwundenen Unterlagen geblieben sind. Laut Bekennerschreiben wurden einige der Schriftstücke, die die Übertragung von Gemeindeeigentum betreffen sollen, an die Gemeinde Schollene zurückgeschickt. Ein Sprecher der Treuhandanstalt erklärte dazu, daß es sich hier um Anträge auf Errichtung »von Kindergärten und ähnlichem« handle, die von der Treuhandanstalt »sicherlich positiv« beantwortet worden wären. Für die Akte Schollene sei aber die Hauptgeschäftsstelle zuständig. Sie sei nur durch einen »Irrtum« in die Schneeglöckchenstraße gelangt. Ob der »Irrläufer« inzwischen wieder wohlbehalten dort angelangt ist, wo er herkam , bereitet dem Staatsschutz jetzt einige Kopfzerbrechen. Der Grund: Den Beamten ist es noch nicht gelungen, Schollene ausfindig zu machen. »Schollene muß eine winzig kleine Gemeinde in der Nähe von Magdeburg sein. Aber wo genau, daß konnte uns bislang keiner sagen«, bedauerte ein Sprecher des Staatsschutzes.
Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen wegen des Brandanschlags übernommen. Geprüft wird zur Zeit, ob es sich bei »Thomas Münzers Wilder Haufen« um eine terroristische Vereinigung handele, hieß es. plu
(Siehe auch die Dokumentation auf Seite 22.)
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