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Paris will „Recht zur Einmischung“

■ Nach Verabschiedung der Irak-Waffenstillstandsresolution durch die UNO will Frankreich nun auch eine Entschließung über die Kurdenfrage erreichen/ USA wollen sich nicht im Irak einmischen

Paris/Washington (afp/dpa) — Nach der Verabschiedung der UNO- Resolution 687 am Mittwoch abend, die die genauen Bedingungen für einen formellen Waffenstillstand zwischen dem Irak und den multinationalen Streitkräften am Golf festlegt, hat Frankreichs UNO-Botschafter die anderen ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats zu einer Sitzung über die Kurdenfrage zusammengerufen. Frankreich will eine Resolution des Sicherheitsrates zu den von irakischen Regierungstruppen verfolgten und ermordeten Kurden erreichen.

In der Öffentlichkeit Frankreichs, Großbritanniens und der USA wird die bisherige Nichteinmischung der drei Staaten im irakischen Krieg gegen die Kurden scharf kritisiert. Frankreich will sich nun mit der Frage befassen, in welcher Form eine „Pflicht zur Einmischung“ in das Völkerrecht eingeführt werden könnte. Wie Außenminister Roland Dumas am Donnerstag in Paris nach einer Anhörung vor dem außen- und verteidigungspolitischen Ausschuß des Senats erklärte, hat die aktuelle Notlage der Kurden als „Zündmechanismus“ in der Öffentlichkeit gewirkt, der die Notwendigkeit deutlich machte, auf schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte und der Rechte von Minderheiten reagieren zu können. Frankreich habe bereits bei der Revolution in Rumänien im Dezember 1989 eine Reflexion über die Pflicht zur Einmischung angeregt, sei damit damals jedoch auf „sarkastische“ Reaktionen gestoßen. Durch die Kurdenfrage sei es nun erneut notwendig, darüber nachzudenken.

Der französische Außenminister bestritt nicht, daß eine entsprechende juristische Regelung schwierig sei, da sie auch eine Änderung der UN- Charta bedinge. Doch sei beispielsweise auch das Verbrechen gegen die Menschlichkeit juristisch erst nach dem Zweiten Weltkrieg und den von den Nationalsozialisten begangenen Greueln definiert worden. „Wenn es neue Verbrechen gibt, warum soll es nicht auch Gesetzesregeln geben, um darauf zu reagieren“, fragte der Außenminister.

US-Präsident George Bush hatte am Mittwoch erneut betont, daß die USA sich in der Kurdenfrage nicht engagieren würden. Washington wolle weder in die internen Probleme des Irak hineingezogen werden, noch „seine Männer und Frauen in zusätzliche Kämpfe verwickeln“. Humanitäre Hilfe für die Opfer des irakischen Bürgerkrieges wollen die USA nach Bushs Worten jedoch leisten.

Zuvor hatte das Washingtoner Außenministerium mitgeteilt, daß die USA im Sicherheitsrat „umgehend“ über die „humanitäre Lage“ im Irak sprechen wollten. Sprecherin Margaret Tutwiler sagte, die USA seien „äußerst besorgt“ über Berichte von Greueltaten sowohl im kurdischen Norden als auch im Süden des Landes. Die benachbarte Türkei werde „bedeutende internationale Hilfe“ brauchen, um das Flüchtlingsproblem zu bewältigen. Konkrete Einzelheiten über die Hilfe konnte sie noch nicht nennen. Präsident Bush sprach von Medikamenten und Nahrungsmitteln. Die UN-Waffenstillstandsresolution 687 (dokumentiert in der taz von gestern) war am Mittwoch mit zwölf von 15 Stimmen im Sicherheitsrat angenommen worden. Jemen und Ecuador enthielten sich, während Kuba gegen die Entschließung votierte. Der irakische UNO-Botschafter El-Anbari kritisierte die Resolution heftig und erklärte, der Irak behalte sich das Recht vor, von den Alliierten Reparationen zu verlangen. Die irakische Regierungszeitung 'El Dschumhuriah‘ bezeichnete die Entschließung als weiteren Versuch, „die direkte Hegemonie der USA in der Region und ihre Kontrolle über die ganze Welt sowie ihre Reichtümer auszudehnen“. Die Resolution verleihe der US-Regierung Rechte, die Gesetze und internationale Abkommen ihr niemals zusprechen würden. „Dieser Entwurf ist die Quintessenz des ganzen amerikanischen Hasses, des Willens zur Aggression und aller gegen den Irak gerichteten Komplotte“, so das Blatt.

Während der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Thomas Pickering, von einer „harten, aber ausgewogenen“ Entschließung sprach, erklärte der sowjetische UN- Botschafter, Juli Woronzow, die Kuwait-Krise und deren Lösung zeige, daß sich die internationalen Beziehungen grundlegend geändert hätten. Die Welt habe den Kalten Krieg beendet und den Weg zu weitreichender internationaler Zusammenarbeit beschritten. Auch der französische UN-Botschafter Jean Marc Rochereau de la Sabliere begrüßte die Resolution, betonte jedoch, die Normalisierung des täglichen Lebens im Irak hänge nicht nur von der Aufhebung der Sanktionen ab.

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