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„Ich will nicht sehr alt werden“

■ Max Frisch starb kurz vor seinem 80. Geburtstag

„Wir stellten einmal am schweizerischen Schrifstellerhimmel ein Doppelgestirn dar, Kastor und Pollux“, hat Friedrich Dürrenmatt einmal gesagt. Frisch galt neben Friedrich Dürrenmatt, der im Dezember gestorben war, als einer der beiden großen deutschsprachigen Schweizer Schriftsteller. Frisch, Romancier, Dramatiker und Essayist, ist in der Nacht zum Donnerstag in seinem Haus in Zürich gestorben, teilte sein Sohn Peter gestern Mittag der Schweizer Depeschenagentur 'SDA‘ mit. Ein paar Wochen vor seinem achtzigsten Geburtstag erlag der Autor einem Krebsleiden.

Bekannt wurde Frisch nach dem Zweiten Weltkrieg durch Romane wie Stiller, Homo faber oder Mein Name sei Gantenbein und durch seine Tagebücher und Theaterstücke, darunter die Chinesische Mauer, Don Juan oder die Liebe zur Geometrie, Biedermann und die Brandstifter und nicht zuletzt Andorra. Die Bücher des überzeugten Pazifisten und Anhängers eines humanistischen Sozialismus erschienen in über 20 Sprachen — die Weltauflage geht in die Millionen.

Frisch studierte in Zürich Germanistik und — nach dem Tod seines Vaters — Architektur. Schon als 16jähriger hat er für die Bühne geschrieben und später auch als Journalist gewirkt. Der sich verbreiternde Erfolg seiner literarischen Arbeit erlaubte es dann 1955, den Architektenberuf aufzugeben. Erste Zeitstücke wie Nun singen sie wieder und Als der Krieg zu Ende war sowie der Roman Stiller ebneten ihm den Weg zum freien Autor.

„Frisch fasziniert die Intellektuellen“, schrieb Dürrenmatt in seiner 1990 erschienenen Stoffe- Sammlung Turmbau. Sie fänden bei ihm die Schwierigkeiten dargestellt, die sie auch haben oder glauben, haben zu müssen: Ehe-, Gesellschafts- und Identitätsprobleme. Aber Frisch zog sich immer mehr auf sich selbst zurück. 1982 erschien noch seine Erzählung Blaubart, doch dann wurde es still um ihn. „Ich habe mir mein Leben verschwiegen“, hatte Frisch 1975 in der autobiographischen Erzählung Montauk geschrieben, „ich habe irgendeine Öffentlichkeit bedient mit Geschichten“, und warf sich Verrat an sich selbst vor. Und dann steht da noch: „Ich will nicht sehr alt werden.“

Trotz seines Rückzugs hat sich Frisch auch in den letzten Jahren noch eingemischt: 1989, als die Eidgenossen über eine Volksinitiative „Für eine Schweiz ohne Armee“ abstimmten, geriet sein aktueller Kamin-Dialog zu diesem Thema — zwischen Großvater (Max Frisch) und Enkel Jonas — zum Bestseller. Seit Jahren schreibe er ansonsten außer Briefen nichts mehr, bekannte er in dieser „Palaver“-Schrift.

„Stammtisch der Maulhelden des Kalten Krieges“, nannte Frisch die Schweiz, er beklagte das bundesdeutsche „Klima des Ressentiments“, und die UdSSR rief er zu Selbstkritik auf. Für Schlagzeilen sorgte der mehrfach verheiratete Pfeifenraucher und intensive Tagebuchschreiber noch im März, als er eine Einladung zu den 700-Jahr- Feierlichkeiten der Schweiz demonstrativ ablehnte. Zur Begründung meinte der Autor, die Schweiz sei „unter der jahrhundertelangen Dominanz des Bürgerblocks ein verluderter Staat“ geworden. Wie viele andere Intellektuelle, darunter auch Friedrich Dürrenmatt, war Frisch vom Schweizer Staatsschutz observiert worden, was erst vor kurzem bekannt wurde.

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