: Stiefmütterchens Alleinherrschaft
■ Ein Pflänzchen für alle Gelegenheiten: billig, haltbar, pflegeleicht
Überall taucht jetzt das gleiche Pflänzchen mit bieder nickendem Köpfchen auf: das Stiefmütterchen. Einzige Variationsmöglichkeit bleibt die Farbe, aber selbst da wählen die meisten blau und gelb. Selbst die Gräber auf dem Riensberger Friedhof sind eintönig mit blau-gelben Stiefmütterchen bepflanzt. Vereinzelte Osterglocken oder Primeln wirken da wie Balsam für's Auge.
„Stiefmütterchen sind frostfest und pflegeleicht“, erklärt eine Mitarbeiterin von Blumen-Stelter an der Friedhofsstraße. „Die guten Deutschen sind auf Haltbarkeit bedacht“, ergänzt ihre Kollegin. Stiefmütterchen „halten“ von März bis Mitte Mai. Sie stellen keine besonderen Ansprüche an Boden oder Bewässerung. Düngen ist eher schädlich. Ein weiteres Argument für das allgegenwärtige Stiefmütterchen ist der Preis. Er liegt mit 0,80 Mark bis 1,20 Mark pro Stück (im Dutzend billiger!) deutlich unter dem von Primeln oder Schlüsselblumen (zwischen 1,50 und 3 Mark).
“Stiefmütterchen“ heißen die Stiefmütterchen erst seit dem 18. Jahrhundert. Das Veilchengewächs verdankt diesen Spitznamen laut Lexikon dem Aufbau der fünfblättrigen Blüte: auf den beiden oberen Stühlen (Blättern) macht sich die böse Stiefmutter breit. Ihr zur Seite sitzen ihre beiden leiblichen Töchter. Den unteren Stuhl teilen sich die beiden Stieftöchter. Ursprünglich stammt das Stiefmütterchen von der vulgären viola tricolor, einem Wild-und Ackerkraut, ab. Englischen Gärtnern gelang im 16. Jahrhundert die Züchtung zur beliebten Gartenpflanze.
Auch für Hinrich Behrens, den Leiter des Gartenbauamtes, ist das Stiefmütterchen die Frühlingsblume. Zu Hunderten ließ er sie um die Mühle am Wall pflanzen. „Um diese Jahreszeit ist das Sfiefmütterchen die einzige Blütenpflanze mit Fernwirkung“, so Behrens.
Im Botanischen Garten stehen derweil etwa 20 verschiedene Pflanzenarten in voller Blüte mit so blumigen Namen wie Küchenschelle, Engelstränen-Narzisse, Frühlingsbraunwurz oder Buschwindröschen. Keine Alternative zur Monokultur der Stiefmütterchen? „Nein“, sagt der Botaniker. Außer den schon genannten Argumenten fügt er noch ein ökologisches hinzu: Stiefmütterchen kann man kalt vorziehen, für Primeln bräuchte man beheizte Gewächshäuser. Warten wir also die Eisheiligen ab. Danach wird es bunter. asp
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen