Gastkolumne: Warum keine Solidarität mit Kurdistan? / Sollen die Kurden erst mit amerikanischen Bomben getötet werden?

Das Robbensterben in der Nordsee führte 1988 zu massenhaften Protestaktionen in norddeutschen Städten. Als aber im gleichen Jahr mehr als 5OOO Kurden in Halabja durch Giftgas, hergestellt mit deutscher Hilfe, ermordet wurden, erhob sich keiner. Zur Protestdemonstration in Köln, organisiert zu diesem Anlaß von kurdischen Organisationen, fuhr ein Bus ab Bremen, darin saß kein einziger Deutscher.

Gegen den Golfkrieg gingen hunderttausende auf die Straße, zu recht. Gegen das Massaker an Kurden in Irakisch-Kurdistan herrscht wieder Schweigen, warum? In diesem Beitrag werde ich versuchen, auf die Gründe dafür einzugehen.

Obwohl das kurdische Volk seiner elementaren Rechte beraubt, in seiner Existenz bedroht ist und seit Jahrzehnten für Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung, trotz unzähliger Opfer und Niederlagen unaufhörlich weiterkämpft, findet sein Kampf kaum Interesse und Unterstützung. Die Supermächte, internationale Einrichtungen wie UNO, EG und die Blockfreien Staaten haben bisher stets vermieden, sich mit der kurdischen Frage ernsthaft auseinanderzusetzen.

Dieses gilt auch mehr oder weniger für Friedens-, Solidaritäts- und Dritte-Welt-Bewegung. Auch sie hat es bisher versäumt, abgesehen von wenigen Gruppen (Medico International, Gesellschaft für bedrohte Völker), sich ausführlich mit dieser Frage zu befassen und zu einer breiten und kräftigen Solidarität mit Kurdistan zu kommen. Beliebter für die Solidarität waren Nicaragua, El Salvador oder Südafrika. Dabei haben oder hatten diese Länder viel mehr Freunde und Unterstützer als die Kurden ( z.B. Sowjetunion, Kuba und blockfreie Bewegung). Das kurdische Volk hat hat die internationale Solidarität tausendfach nötiger als viele andere vergleichbare Völker. Ja es braucht die Unterstützung der Friedens- und Solidaritätsgruppen, um zu überleben.

Die jüngste Geschichte hat wiederholt gezeigt, daß Sowjetunion, USA und auch die EG-Staaten kein Interesse am Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volkes haben. Sie sind durch ihre Interessen zu sehr an die Staaten gebunden, die Kurdistan aufgeteilt und besetzt halten. So halten z.B. die USA und die BRD zur Türkei und die SU zum Irak. Selbst jetzt, wo die Situation für die Errichtung einer förderativen Republik Kurdistan innerhalb der irakischen Grenzen günstig erscheint, machen sich die Supermächte Sorgen über die Gefährdung „Souveränität“ des irakischen Terrorstaates und dulden das Massaker an dem kurdischem Volk.

Von der Bewegung der Blockfreien in Richtung Kurden hat man nie etwas Positives gehört. Im Gegenteil: Sie stehen auch heute auf der Seite der Unterdrücker. Denn Länder wie Irak und Iran sind Mitglied der blockfreien Staaten. Kuba und Jemen z.B. haben gegen die USA auf der Seite Iraks gestanden, aber zum Massenmord an den Kurden schweigen sie. Das nennt man: Auf einem Auge blind sein. Auf diese Haltung trifft man auch bei vielen Linken und innerhalb der Friedensbewegung. Sie leitet sich meiner Meinung nach von einem engen und einseitigen anti-imperialistischen Verständnis ab. Man übersieht dabei, daß Länder wie Irak und Iran, selbst vom Imperialismus bedroht, auch imperialistische und anexionistische Ziele verfolgen können. Sie halten Kurdistan besetzt, plündern seine Reichtümer in einer Weise aus wie in ex-europäischen Kolonien. Ermorden und verjagen ihre Bewohner und vernichten ihre Kultur. Ist es nicht imperialistisch genug, wogegen protestiert werden muß? Sollen die Kurden erst durch die amerikanischen Bomben getötet werden, damit man sich mit ihnen solidarisiern kann?

Die kurdische Bewegung verfügt über eine starke Massenbasis, und sie ist sekular angelegt. Damit bildet sie einen wichtigen Eckpfeiler der demokratischen Entwicklung in einer Region, in der panarabische, pantürkische und panislamische Bewegungen im Wachsen sind. Daher bedeutet jeder Erfolg der kurdischen Bewegung mehr Demokratie in den Ländern Türkei, Irak und Iran.

Nuh Ates, der Autor ist Kurde, Diplom-Pädagoge und anerkannter Flüchtling. Er lebt seit zwanzig Jahren in der Bundesrepublik.