: Meisterkampf und Abstiegstaumel
■ Werders sechs Tore verstoßen Hertha in die zweite Liga
Fußballehrer Peter Neururer ist zweifellos ein bemitliedenswerter Zeitgenosse. Zuerst werfen sie ihn bei Schalke hinaus, trotz Spitzenplatz und Aufstiegschancen. Und kurz darauf läßt er sich breitschlagen, die bereits heftig röchelnde Hertha aus Berlin zu übernehmen, um sie doch noch von ihrem fast sichern Weg in die Zweitklassigkeit abzubringen.
Die Aktion ist gescheitert. Bestürzende Bilanz nach dem jüngsten 0:6-Debakel im Weserstadion: Fünf Matches unter Neururers Ägide brachten 0:10 Punkte, 5:19 Tore und die Zementierung des letzten Tabellenplatzes. Der kleinlaut gewordene Coach: „Jetzt geht es nur noch darum, die letzten Spiele halbwegs achtbar über die Runden zu bringen.“ Doch selbst das dürfte den Herthanern schwer fallen, nimmt man die deprimierende Leistung in Bremen als Maßstab. Dort nämlich machten die zum Großteil gerade der Pubertät entwachsenen Berliner Buben trotz allen Eifers eine jämmerliche Figur. „In der derzeitigen Besetzung können wir es einfach nicht besser“, befand der schnauzbärtige Hertha-Trainer und geißelte das „geradezu unglaubliche Verletzungspech“ seiner Riege.
In der Tat: Gerade zwei Ersatzkicker nebst einem Reservertorwächter hockten auf der Berliner Bank und beobachteten, wie ihre Kollegen auf dem flutlichtbestrahlten Rasen danach trachteten, die Niederlage in Grenzen zu halten. Das taten die elf Kellerkinder in ihrer schwarzroten AC- Mailand-Kostümierung anfangs auch recht gefällig, bis der zappelige Youngster Marco Zernicke seinem leidgeprüften Schlußmann Junghans ein sauberes Eigentor in die Maschen köpfelte. 1:0 für Werder, fürderhin steigerten sich die Jungs von der Weser, während die von der Spree perfekte Unfähigkeit demonstrierten: Keeper Junghans stolperte durch den Strafraum, Libero Holzer — Nomen est Omen! - trat dreist an gegnerische Waden, und der norwegische Recke Jan Halvorsen, nach einem frühzeitigen Zusammenprall von einem schmerzenden Brummschädel geplagt, zockelte reichlich desorientiert über das Grün.
Ergo hatten es die Bremer leicht, ihre Trefferbilanz zu verschönern. Eilts und Wolter flankten ungestört von rechts wie links, insbesondere Wynton Rufer nahm die Vorlagen dankend entgegen, entwischte seinem beklagenswert langsamen Widerpart Halvorsen ein ums andere Mal und erzielte drei schöne Treffer. Jener Halvorsen war es auch, der den Werderanern noch einen Elfmeter schenkte. Kurz vor Schluß stieg der offenbar immer noch delirierende Abwehrmann einer harmlosen Flanke entgegen und grapschte sie sich völlig unmotiviert mit einer Hand. Den fälligen Strafstoß verwandelte Psychologiestudent Uwe Harttgen trockenen Schusses.
Am Ende des kurzweiligen Abends stand Werders deutlichster Saisonsieg und Herthas höchste Auswärtsniederlage überhaupt. Für den wackeren Halvorsen gab es noch ein unerfreuliches Nachspiel: In der Kabine wurde er plötzlich ohnmächtig und daraufhin ins Hospital gefahren: Der Norweger hatte fast das ganze Spiel mit Gehirnerschütterung und Jochbeinbruch überstanden. Angesichts solcher Hiobsbotschaften wähnte Peter Neururer schließlich sogar finstere Mächte im Spiel: „Ich glaube, es liegt ein erbärmlicher Fluch über unserer Hertha!“ Hoger Gertz
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