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Ein Schriftsteller wird besichtigt

■ In der Angestelltenkammer ist für drei Wochen das Leben Heinrich Manns aufgebaut / Manuskripte, Briefe, Erstausgaben

Erste Sammlung von Geschichten

Da liegt er, der Privatdruck des „Untertan“. 1916 hat der Verleger Kurt Wolff 10 Exemplare drucken lassen und sie an auserwählte Persönlichkeiten aus Adel und Edel verschickt. Zehn Stück dürften es gewesen sein, und eins davon liegt seit Samstag in der Angestelltenkammer Bremen.

„Heinrich Mann — Augenzeuge des Jahrhunderts“ heißt die Ausstellung, die Wilfried Schoeller, Kulturjournalist beim Hessischen Rundfunk, zusammengestellt hat. Radio Bremen und die Angestelltenkammer haben sie in die Hansestadt geholt, und kein Anlaß ist besser als der, den Aussteller Schoeller nennt: Heinrich Mann sei nach den Ausstellungsorten Frankfurt und München nun in seine hanseatische Heimat zurückgekehrt.

Über 300 Exponate, Erstausgaben, Manuskriptseiten, Briefe, Fotos, davon etwa 50 Stücke aus dem Ostberliner Heinrich-Mann- Archiv, zeichnen den Lebensweg des Romanciers, Novellisten, Dramatikers, Essayisten, Malers und Journalisten Heinrich Mann nach.

Handschrift erfordert Geduld

Man muß ein bißchen Geduld mitbringen, wenn man sich durch den Wald von Schautafeln im Leben des Schriftstellers zurechtfinden will, und auch das Entziffern der Manuskriptenseiten dürfte vielen BesucherInnen nicht leicht fallen, weil es fast nirgendwo typographische Orientierungen gibt. Wer sich dann doch nicht entmutigen läßt, der findet zahlreiche Kieselsteine durch die komplizierte Biographie Heinrich Manns.

Monarchenverehrer, Kämpfer gegen den Faschismus, Emigrant, Drehbuchautor in Hollywood

Der eine außerordentliche Wandlung vollzogen hat vom reaktionären Monarchenverehrer zum Demokraten; der gegen die Widerstände seines Vaters die Schriftstellerkarriere durchsetzt; der Aktivist der Münchner Räterepublik wird, ohne je Anhänger einer Arbeiterpartei, geschweige denn ihr Mitglied zu werden; der mit zahlreichen Aufrufen zur Einigung von SPD, KPD und Bürgerlichen gegen den bedrohlichen Faschismus kämpft; der aus Deutschland flieht, bevor die Nazis ihn holen und der in Frankreich seine politischen Sammlungsbestrebungen unter Antifaschisten fortsetzt;

Erstausgabe des Bandes mit Essays und „Szenen aus dem Nazideutschland“, Amsterdam 1933

der über Lissabon nach Amerika emigriert und vor den kommerziellen Anprüchen des Hollywood-Kinos kapitulieren muß, weil die Warner Brothers, die ihn als Drehbuchautoren unter Vertrag nehmen, nnichts von ihm wissen wollen.

Heinrich Mann war wohl einer der vielseitigsten Stilisten der deutschen Literatur, mit klassisch komponierten Novellen, fetzigen Essays und Satire aus dem obersten Regal.

Fetzige Essays und Satire aus dem obersten Regal

Heinrich Mann, der seine humanistische Einstellung mit schmerzhaften Erfahrungen bezahlen muß hat keinen geraden Lebensweg zurückgelegt, sondern eine Route voller Sackgassen, Schleifen und Umwege, die ihn durch halb Europa führten: Lübeck, Dresden, Italien, München, Berlin, Nizza, Paris, später gar Los Angeles.

Vitrinen-Särge

Bei aller Sorgfalt bleibt das Leben Heinrich Manns doch weitgehend dort, wo es ist: In Vitrinen verborgen. Die Dokumente bleiben stumm, ein Schriftsteller wird besichtigt. Etwa ein Brief Walter Ulbrichts an Heinrich Mann aus dem Jahr 1937, in dem der Schriftsteller aufgefordert wird, sich an „alle Sozialdemokraten, Kommunisten, Demokraten und sonstigen antifaschistischen Kräfte mit dem Vorschlag eines Meinungsaustausches über die Schaffung einer starken deutschen Volksfront“ zu wenden, geht fast völlig in der Ausstellung unter und ist zudem oberlehrerhaft vom Aussteller kommentiert. Dem Ansehen Heinrich Manns schadet das nicht, dafür aber der Ausstellung. Markus Daschner

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