: Suchbilder Schinkels
■ Eine Ausstellung zu nicht mehr vorhandenen Bauten Karl Friedrich Schinkels
Noch immer gilt die unnötige Zerstörung der Schinkelschen Bauakademie am Werderschen Markt im Jahre 1962 als Synonym für die Abrißwut sozialistischer Stadtplaner, die nur noch Bruchstücke vom einstigen Zentrum Berlins übrigließen. Hinter dem Operettenboulevard »Unter den Linden« verlieren sich die wenigen erhaltenen alten Gebäude. Die restaurierte gotische Marienkirche steht wie ausgesetzt auf dem gähnend leeren Alexanderplatz. Nicht anders ergeht es Schinkels wiederaufgebauter Friedrichswerderschen Kirche zwischen maßlos grüner Weite und dem Riegel des einstigen Außenministeriums der DDR, dem die Bauakademie weichen mußte.
Daß die Gebäude des großen preußischen Baumeisters in Berlin-Mitte zugunsten des modernen »sozialistischen« Zentrums geschleift wurden, ist eine Sache. Richtig ist, daß abgesehen von der Bauakademie, auch das Siegmeyersche Haus Unter den Linden, die zahlreichen Stadtpalais, Torhäuser und das Artilleriehaus trotz teilweiser Kriegszerstörung hätten erhalten werden können, ja müssen. Richtig aber ist auch, daß die Neue Wache, das Schauspielhaus und das Alte Museum bewahrt worden sind und daß in West-Berlin — der Ideologie zum Trotz — mit Schinkel ebenso wie in Ost-Berlin verfahren wurde: Das Bemühen um Erhaltung seiner Bauwerke stand auch hier dem Ruhm Schinkels zeitweise diametral entgegen. Ist noch verstehbar, daß 1949 das in der westlichen Wilhelmstraße gelegene Palais Prinz Karl mit der ersten gußeisernen Treppe Berlins, daß im Faschismus Goebbels' Propagandaministerium berherbergte, in die Luft fliegen mußte, so wurde in den frühen 50er Jahren in der modernistisch formulierten Auslobung zum Westberliner Wettbewerb »Hauptstadt Berlin« die Schinkelsche Bauakademie schon als nicht zwingend erhaltenswert abgekanzelt. Ohne Not riß man 1958 das Feilnerhaus in der Ritterstraße, Schinkels ersten profanen Backsteinbau aus dem Jahre 1828/29, ab. Schließlich fielen dem Bau des Hansa-Viertels die Reste des Landhauses Graefe zum Opfer. Die anstelle errichteten Bauten, wie etwa die einstige Sowjetische Botschaft auf dem Gelände des Siegmeyerschen Hauses in Ost-Berlin oder Rob Kriers postmodernes Zitat des Feilnerhauses in der Ritterstraße, erscheinen heute eher als ungewollte Mahnmale einer irrsinnigen Zerstörung — drüben wie hüben!
Die kleine Ausstellung »Nicht mehr vorhandene Bauten Karl Friedrich Schinkels in Berlin und Potsdam«, die zum 150. Todestag des großen Baumeisters ganz unspektakulär in der Friedrichswerderschen Kirche präsentiert wird, zeigt auf wunderbar alten Fotografien aus dem Ostberliner Meßbildarchiv, daß Schinkelbauten nicht erst seit 1945 den zerstörerischen Umbauten und Totalsanierungen im alten Zentrums weichen mußten. Vielmehr bekommt man den Eindruck, daß die stadträumlichen Gestaltungen des sparsamen Berliner Klassizisten schon immer dem Wachstum und Ausbau der Metropole im Wege standen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Bauten abgerissen.
Dem Repräsentsationsbedürfnis des wilhelminischen Pomps fiel 1893 Schinkels Berliner Dom (1820/21) mit seiner Haupt- und den zwei kleinen Nebenkuppeln zum Opfer. Im Unterschied zum übermächtigen Dombau Raschdorffs, hatte Schinkel eine maßvolle Proportionierung der Kirche im Auge, die den Einzelbau wirkungsvoll gegenüber dem Stadtschloß und, ab 1828 als Teil des städtebaulichen Ensembles zwischen Altem Museum und Lustgarten, »als ausgeglichenes regelmäßiges Ganzes« (KFS) inszenierte.
Ein ganzes Modell für eine moderne — nicht mehr an der geschlossenen Straßenfront orientierte — urbane Stadtlandschaft Schinkels, sein Neuer Packhof mit Verwaltungs- und Direktorenhaus (1829/31), wurde in den Jahren 1896 bis 1910 aus dem Zentrum zugunsten musealer Gebäude sowie neuer Verkehrsstraßen entfernt. Den Neuen Packhof entlang des Kupfergrabens hatte Schinkel als Anlage aus drei Gebäuden entworfen. Städtebaulich dominierte das am nördlichen Ende gelegene fünfgeschossige Magazingebäude. Ein auf quadratischem Grundriß errichteter Ziegelbau und zwei Verwaltungsgebäude schlossen sich an. Die Gesamtplanung der Speicherarchitekturen hatte Schinkel auf die Bauten am Lustgarten bezogen. Mit den Blöcken von Zeughaus, Altem Museum und Schloß traten die Baukörper in einen wechselseitigen Dialog baulicher wie funktionaler Spannung. 1896 mußten Teile der Zweckbauten dem Neubau des Kaiser-Friedrich-Museums und 1910 dem Durchstich der Stadtbahn weichen. Das Direktionsgebäude, bis zuletzt Sitz der Generaldirektoren der Museen, wurde 1938 abgetragen. Die Abfolge von Gebäuden der »Kupfergrabenlandschaft«, die sich nach Süden bis zum Werderschen Markt mit der Bauakademie und der Friedrichswerderschen Kirche fortsetzte, eine städtebauliche Lösung ohne direkte Vorbilder oder zeitgenössische Entsprechungen, war zerstört.
In der Friedrichsstadt, der Schinkel durch das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt eine Vorstellung moderner baulicher Individualität im barocken Stadtgrundriß entgegensetzte, mußte 1905 das Redernsche Palais (1829/33) am Pariser Platz dem Neubau des Hotels Adlon weichen. Auch mit der Glienicker Brücke und der Neuen Sternwarte (1830/35) an der Lindenstraße verschwanden noch vor dem Ersten Weltkrieg Architekturen Schinkels, die weniger von antik-klassizistischen Pathosformeln, sondern von einer fast schon ingenieursmäßigen Funktionalität und Ablesbarkeit der Konstruktionen geprägt waren.
Ohne Not wurden die Koordinaten Schinkelscher Baukunst, sein Feilnerhaus (1828/29) und die Bauakademie (1831/36) nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. Das für den Tonwarenfabrikanten Tobias Feilner geplante Haus beließ Schinkel an der Fassade in Backstein und Terrakotta, wobei nur die drei Geschosse mit glasierten Gurten strukturiert wurden. Damit »diese dauerhaft schöne und wahrhafte Architektur aus gebranntem Ton« (KFS) erhalten bliebe, wurde sie mit einem transparenten Schutzanstrich versehen. Bauwerk und -material, seine Profilierung und sein Schmuck entsprachen den Gedanken an Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Materialgerechtigkeit — dem Schinkelschen Klassizismus. Seine Bauakademie, der »rote Kasten«, war eine Fortsetzung des Feilnerhauses. Der repräsentative Rohziegelbau am Westufer der Spree hatte einen kubischen Baukörper, den schlichte glatte, rasterartig gegliederte Wände umschlossen. Die Modernität des Baus bestand nicht allein in seiner Form und seinem Material, sondern in der Konstruktion eines Skelettbaus und der Sichtbarmachung seiner Kräfte. Schinkel wandte an der Bauakademie Bautechniken von Fabrik- und Speichergebäuden an, die er auf seiner Englandreise 1826 kennengelernt hatte und die die Bautechniken der Zukunft bestimmen sollten. Mit diesen neuen konstruktiven Mitteln führte er ein Stilprinzip vor, eine »Architektur, die aus der Konstruktion hervorgeht« (KFS) und die frei von Bindungen an historische Formen auskommen konnte.
Der Rückblick auf die nicht mehr vorhandenen Bauten Schinkels in der Friedrichswerderschen Kirche aktualisiert nicht bloß wehmütige Besinnung an sparsame, einfache wie geniale Baukunst und Architektur. Der Rückblick auf Schinkel in der Ausstellung aktualisiert zugleich die Erinnerung an Methoden der Stadtgestaltung, die den Stadtraum aus seiner barocken Geschlossenheit »entgrenzten« (Neumeyer) und gerade heute Präferenzen für eine neue zukünftige Mitte geben können. Das heißt jedoch nicht: Baut das Schloß wieder auf! Das heißt: »Überall ist man da wahrhaft lebendig, wo man Neues schafft, überall, wo man sich ganz sicher fühlt, hat der Zustand schon etwas Verdächtiges. Dies ist schon eine halbtote Lebendigkeit.« Dies schrieb Schinkel. rola
Die Ausstellung ist noch bis zum 31. Oktober in der Friedichswerderschen Kirche zu sehen. Mi-So von 10 bis 18 Uhr. Es erscheint ein Katalogheft.
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