Sowjettruppen beginnen heute mit dem Abzug aus Polen

Polnische Regierung trotz Rückzug verärgert/ Sowjetunion verweigert bisher formelles Abkommen  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Mit dem heutigen Montag beginnt offiziell der Abzug der sowjetischen Truppen aus Polen. Die sowjetische Botschaft lädt für diesen Tag nach Koszalin (Köslin) ein, wo General Dubynin, der sowjetische Bevollmächtigte für die Stationierung in Polen eine Abschiedsfeier vorbereitet: mit Parade, Musik und Volksfest. Ob wirklich gefeiert wird, ist aber ungewiß. Dubynin war nämlich in Polen vor einigen Wochen in die Schlagzeilen geraten, weil er in Reden und einem Artikel einer armeeinternen Zeitung die polnische Regierung scharf angegriffen hatte. Polen wolle die sowjetischen Truppen wie Verbrecher aus dem Land jagen und sie ihrer Ehre berauben, hatte der Bevollmächtigte damals erklärt.

Wahr ist daß Polen die Sowjetunion darauf hinwies, daß erst die sowjetischen Truppen aus Polen abziehen müßten, bevor dem Transit der abziehenden Einheiten aus der ehemaligen DDR zugestimmt werden könnte. Dubynin erwiderte patzig, die Rote Armee werde abziehen, aber „ohne Verantwortung für die polnische Zivilbevölkerung zu übernehmen“, sollte Polen seine Forderungen nicht mäßigen. Das zeigte Wirkung: Außenminister Skubiszewski hat seine Haltung inzwischen tatsächlich abgeschwächt: Wenn ein Abkommen über den Abzug unterschrieben sei, könne bereits „ein gewisser Transit“ anlaufen.

Der ist auch bereits angelaufen, allerdings ohne daß ein Abkommen unterschrieben worden wäre. Glaubt man etwa General Zdzislaw Ostrowski, dem polnischen Beauftragten für die Stationierung, so ziehen die Sowjets ihre Truppen schon seit geraumer Zeit praktisch unkontrolliert aus Deutschland zurück — aufgrund eines alten, nie gekündigten Abkommens mit der DDR. Laut Ostrowski bemüht sich Polen nun, diesen „wilden Transit“ auf 30 bis 40 Transporte pro Monat einzuschränken. Wie Wladyslaw Klaczynski, Sprecher des polnischen Außenministeriums im Gespräch mit der taz mitteilte, ist Polen sehr daran interessiert, daß dieses Problem nicht die beiderseitigen Beziehungen dominiert. „Wir haben andere Probleme, deren Lösung dringend notwendig ist, beispielsweise den Rückgang unseres Handels mit der Sowjetunion“, so Klaczynski. „Wenn die Sowjetunion mit dem Abzug aus Polen mit entsprechend hohem Tempo beginnt, dann wird das Datum des Abschlusses der Operation immer weniger Bedeutung haben.“ Als Abzugsende hatte die sowjetische Seite ursprünglich das Jahr 1994 vorgeschlagen, inzwischen ist Moskau, wie Walesa in Washington erstmals verriet, auf Mitte 1993 heruntergegangen. „Und wenn ich erst in Moskau mit Gorbatschow geredet habe, gewinnen wir vielleicht noch ein paar Tage“, hatte der Präsident vor der amerikanischen Presse gewitzelt.

Auf keinen Fall möchte man im Westen als derjenige dastehen, der den Rückzug der Sowjettruppen aus Deutschland blockiert. Polens Diplomaten sitzt der Schock des Streits über die Bundeswehrhilfslieferung an die orthodoxe Kirche noch immer in den Knochen. Denn, daß der Transport tatsächlich keinerlei internationalen Normen — von fehlender Versicherung über fehlende Kennzeichen bis zur bewaffneten Militäreskorte — entsprach, ist das eine. Daß Polen trotzdem vor der Weltöffentlichkeit am Pranger stand, das andere. Seither versuchen polnische Politiker peinlichst den Anschein zu vermeiden, wonach Polen den Abzug der Roten Armee aus den neuen Bundesländern blockiere. Den sowjetischen Generälen bei ihrem Katz-und-Maus-Spiel aber völlig freie Hand zu lassen, läßt wiederum Polens öffentliche Meinung nicht zu.

Bei den laufenden Expertenverhandlungen wurde inzwischen auch ein Konsens über technische Fragen erreicht: Grundsätzlich werden Transporte per Bahn und Schiff erfolgen, gefährliche Güter werden nur per Schiff transportiert werden. Dies gilt sowohl für den Abzug, als auch für den Transit aus den neuen Bundesländern. Dieses Verfahren sei von der sowjetischen Seite selbst vorgeschlagen worden, so Klaczynski. Es ist allerdings zu fragen, ob diese Ergebnisse der Expertenkomission auch Einfluß auf die Generäle zeigen werden.