Kardinäle für „humanen“ Feminismus

■ Antiabtreibungskurs des Vatikans bekräftigt/ Gegenbewegung der Liberalen wird erstmals sichtbar

Überraschung bei der Verlesung des Schlußdokuments zur „Konsistorialkonferenz“ in Rom am Sonntag: Die Tagung der Kardinäle aus aller Welt bekräftigte zwar wie erwartet die vorbehaltlose Verurteilung der Abtreibung, wie sie der Vorsteher der Glaubenskongregation, Josef Kardinal Ratzinger, schon bei Eröffnung der Versammlung am Donnerstag gefordert hatte. Sie ging sogar einen Schritt weiter, indem sie die Legitimität von Regierungen grundsätzlich in Frage stellte, „wenn diese Gesetze zur Tötung ungeborenen Lebens zulassen oder beibehalten“.

Doch gleichzeitig verweigerten die Kardinäle die Aufnahme weiterer Verdikte, die der konservativen Fraktion von St. Peter sehr am Herzen liegen: so etwa die von Papst Johannes Paul II. und seinem Oberberater Ratzinger stets gleichwertig neben die Abtreibung gestellte Empfängnisverhütung. Sie wurde im Schlußdokument nicht erwähnt. Dies bedeutet möglicherweise ein Einschwenken auf die Linie, die moderate Papstkritiker seit langem fordern. Demnach könne man die Verurteilung der Abtreibung nur dann glaubwürdig vertreten, wenn man gleichzeitig Empfängnisverhütung zumindest toleriert, wenn nicht sogar ausdrücklich zuläßt.

Die Purpurträger ließen sich auch nicht auf eine noch in den letzten Enzykliken des Papstes bekräftigte Rückkehr zur traditionellen Rolle der Frau ein; es fehlte das von Karol Wojtyla immer betonte Lob der Jungfernschaft ebenso wie die ausschließliche Bindung der Frau an die Mutterrolle. Mehr noch: Erstmals nahmen die Kardinäle das Wort „Feminismus“ im positiven Sinn auf: Lediglich einen „humaneren“ Feminismus fordern sie, der „stärker der Spezifität der Frau als solcher Rechnung trägt“.

Die Kardinäle fordern von Johannes Paul II. außerdem eine „Enzyklika zur Frage der Moral in der modernen Welt“. Dies kann nur als Appell verstanden werden, ethische Probleme nicht mehr wie bisher ohne ausreichende theologische Begründung in allgemeinen Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Fragen zu verstehen, sondern sie explizit zu formulieren und sich damit einer Kritik zu stellen, die der Papst bisher mit viel Geschick vermieden hatte: der Prüfung seiner Anordnungen anhand der von den Theologen in vielen Jahrhunderten erarbeiteten Auslegung der christlichen Gebote. Sichtbar wird damit, erstmals seit Jahren absoluter Hegemonie der konservativ-fundamentalistischen Theologie Ratzingers, eine Gegenbewegung — eine Bewegung, in der viele Beobachter bereits erste Weichenstellungen für die Zeit nach Wojtyla sehen. Werner Raith