Ramstein — Justiz übt Zurückhaltung

Staatsanwaltschaft Zweibrücken will im Ramstein-Verfahren zur Zeit keine eigenen Ermittlungen aufnehmen/ Aufgrund jüngster Berichte ermittelt nun der römische Staatsanwalt Priore  ■ Von J. Weidemann und W. Raith

Mainz/Bonn (taz) —Die deutsche Justiz sieht derzeit keinen Bedarf für eigene Ermittlungen bezüglich der Flugtag-Katastrophe von Ramstein. Der zuständige Zweibrücker Oberstaatsanwalt Norbert Dexheimer sagte der taz, er könne schon wegen der Nato-Bestimmungen keine eigenen Ermittlungen anstellen. Anders die italienischen Behörden: Aufgrund jüngster Berichte hat nun der römische Staatsanwalt Priore die Ermittlungen wieder aufgenommen. Dies berichten die italienischen Zeitungen 'Il Manifesto‘ und 'Corriere della Sera‘.

Bislang hatten die italienischen Behörden am Standort der Fliegerstaffel in Udine, die die Katastrophe verursachte, die Informationen über den Ausgang ihrer Ramstein-Ermittlungen über ein Jahr lang zurückgehalten. Erst nach mehreren taz-Berichten, die immer wieder auf einer Bekanntgabe der Ermittlungsergebnisse beharrten, und erst nachdem Dexheimer zum wiederholten Mal einen Abschlußbericht erbeten hatte, trafen aus Italien zwölf spärliche Zeilen in Zweibrücken ein.

Dexheimers eher gleichgültige Reaktion auf den „Bericht“ der Italiener ist ein Symptom des geringen Interesses an den Hintergründen des Ramstein-Desasters in der bundesdeutschen Justiz und Politik. Ministeriale und Parlamentarier in Bonn und Mainz haben den Ramsteiner Salto Mortale der Frecce Tricolori weitaus schneller verwunden als die Angehörigen der Opfer. Nur wenige — zumeist Grüne oder Sozialdemokraten — äußern heute noch ihren Unmut darüber, daß sie von Anfang an von der demokratischen Kontrolle über die juristischen und militärischen Ermittlungen in Ramstein ausgeschlossen blieben.

Der Teufel steckt im Detail. Zwar gab es in Bonn einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß, doch dem wurden die Hände gebunden. Zwar gab es eine trinationale Militärkommission, doch hatten zivile Fachbehörden darin nichts zu melden. Die Katastrophe von Ramstein blieb Sache der Militärs.

Völkerrechtlich gedeckt werden die Untersuchungen um Ramstein durch das Nato-Truppenstatut, dessen Zusatzabkommen und einige Nato-Standardisierungsabkommen. Den christliberalen Regierungen in Bonn und Mainz kam dieser Berg an Nato-Kompetenzen vielleicht gerade recht. Vor allem die Mainzer Landesregierung, so ist in der Bonner US-amerikanischen Botschaft zu vernehmen, habe „sich schon immer gerne hinter dem Nato-Statut versteckt“.

Die Nato-Bestimmungen beschneiden im Fall Ramstein in erheblichem Maße die Kompetenzen deutscher Behörden. Gemäß Nato-Truppenstatut mußte die bundesdeutsche Justiz die Ermittlungen gegen die US-Amerikaner und Italiener, die an der Katastrophe beteiligt waren, an deren Heimatstaaten abtreten. Statt des zivilen Tatort-Prinzips (Ermittlungen durch das Land, in dem sich der Tatort befindet) gilt das militärische Entsenderstaaten-Prinzip (Ermittlungen durch das Land, dessen Streitkräften der Täter angehört).

Der Untersuchungsausschuß des Bundestages „Flugtag Ramstein/ Nörvenich“ — eingesetzt am 21. September 1988 — durfte weder US- amerikanische noch italienische Zeugen vernehmen. Gerade die Befragung dieser Militärs aber wäre für die Wahrheitsfindung in Ramstein wichtig gewesen. Warum durfte keiner der überlebenden Piloten der Frecce Tricolri als Zeuge auftreten? Warum durften keine Lotsen der Ramsteiner US-Airbase vor dem Ausschuß aussagen?

Auch der Rest der Zeugen und Militärexperten, die schließlich nach Bonn geladen wurden, genossen Zeugnisverweigerungsrechte, die weit über jene vor Gericht hinausgingen. Diese Rechte wurden ihnen ausdrücklich von CDU/CSU und FDP eingeräumt. Die Ausschußmitglieder mußten die Analyse der Unfallursache — auf Treu und Glauben — dem Bericht einer Militärkommission entnehmen. Daß darin auch Deutsche vertreten waren, wird übrigens gern als Beleg für die deutsche Souveränität angeführt.

Die Arbeitsteilung der Kommission war jedoch einer Aufklärung des Ramstein-Unglücks alles andere als dienlich: Die Deutschen prüften deutsche Fehler, etwa bei der Genehmigung, die Amerikaner suchten nach amerikanischen Versäumnissen, etwa bei den Sicherheitsvorkehrungen auf der Ramstein Air Base (fanden aber nichts), die Italiener widmeten sich den Trümmern der abgestürzten Militärmaschinen, um schließlich zu dem Schluß zu gelangen, der Absturz könne nur auf „menschliches Versagen“ zurückzuführen sein. Wenig bedacht wurde dabei in der Öffentlichkeit auch, daß die Unfallursache „menschliches Versagen“ in Ramstein keineswegs bewiesen ist, sondern lediglich angenommen wird, weil andere Ursachen bisher nicht plausibel erschienen — oder auch gar nicht ersr ermittelt wurden.

Auch der Mainzer Innenminister Rudi Geil (CDU) fühlte sich, wie sein Pressesprecher bereits im Februar der taz erklärte, für eine Aufklärung der Katastrophe „nicht zuständig“. Geils Zuständigkeit reduziere sich auf die damaligen „Rettungseinsätze und Entschädigungen“. Schließlich beanspruche man in Mainz „doch keine Alleinzuständigkeit, nur weil Ramstein in Rheinland-Pfalz liegt“. Und weiter: „Verteidigungspolitik und alles, was darunter fällt, gehört nicht zu unserem Auftrag.“