: Um Thron und Liebe — Il Grande Silencio
Das Konzert der „Freunde der Italienischen Oper“ im Schauspielhaus zu Dresden/ FdiO: „Il Grande Silencio“ heißt „Die große Stille“ und „Thron der Liebe“ deswegen, weil wir Anhänger der Monarchie und weil wir alle unglücklich sind ■ Aus Dresden Bistra Klunker
Für die Dresdner, die für gewöhnlich — so auch am 25. März geschehen — zwischen Aktionfilm und Arztserie oder sonstigen Fernsehprogrammen zu entscheiden hatten, und auch für die, die „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ auf den Straßen forderten, war an jenem Tag die Menschentraube vor dem Schauspielhaus unbemerkt geblieben.
Dort war nämlich ein Wunder vollbracht — man hatte wieder ein volles Haus — wie zu alten Zeiten! Die „Freunde der italienischen Oper“ waren der Grund. Das Konzert im Schauspielhaus — nach eigenen Angaben — eine Rettungsaktion für das Staatsschauspiel mit dem Hinweis, das sie sich gegen eine Bezeichnung wie Punkband verwahren — „Wir sind eine musikalische Vereinigung“.
Eine Amateurband, die seit drei Jahren die hiesige Dresdner Szene beglückt. Ihre Musik — laut und aggressiv, die Texte klingen englisch, sind aber unverständlich. Zu den Konzerten laufen parallel selbstgedrehte Acht-Millimeter-Filme, absurde, mit peinlich realistischen bis grausamen Blut- und Gewaltszenen. Anti-Video-Clips, könnte man diese Streifen getrost nennen.
Für Aufregung im Theater hat die Gruppe bereits schon einmal gesorgt — in Wolfgang Engels „Faust“-Inszenierung. Dort wird die Rolle des Euphorion nicht gespielt, sondern gesungen — vom „Freund der italienischen Oper“ Raymund Hänsch. Der Auftritt wird auch von einem Film begleitet, allerdings nicht einer von den Freunden der italienischen Oper selbst gedrehten. Die in den Anfangsjahren für musikalische Bereicherung sorgende Posaune war mitsamt Posaunist im stürmischen Sommer des Jahres 1989 gegen Westen verschwunden.
Nun waren sie alle wieder versammelt — zum Sonderkonzert — Posaunist, das gesamte Rockensemble, Laienansager, das Kinderballett der Staatsoperette Dresden, Streichquintett, Dixie-Fun-Corporation und Blasorchester: Ein Kessel Buntes für die Szene. Die Gäste lockerten das Programm der FdiO auf, indem sie nach ein bis zwei harten Gigs der FdiO auf der stage zum Zuge kamen. Einen Kontrast zu Klaus-Kinski-Grimassen und blutigen Filmbildern — Ausreißen und Verspeisen von männlichen Genitalien — brachten die kleinen Ballerinas in weißen Trikots. Nicht die bescheidene Choreographie, vielmehr die weiße kindliche Unschuld beeindruckte. Sie kontrastierte die musikalisch und filmisch aufgebaute „brutale Welt“.
Natürlich fehlten die „Faust“- Lieder plus Film nicht, hoben den künstlerischen Anspruch an, der unter zuviel Auflockerung litt. Die Schlußszene saß — vor Dokumentarfilmaufnahmen aus der Nazizeit sangen alle „Tomorrow belongs to me“ aus „Cabaret“. Bei der letzten Strophe war eine Atombombenexplosion sekundenlang auf der Leinwand zu sehen. Professionalismus war's nicht gerade, die Grundidee war unverkennbar — die Gewalt, die uns kaputtmacht.
Die Freunde der italienischen Oper im Konzert im größten Theaterhaus Dresden — so etwas wie Neuland für Zuschauer und Veranstalter. Die reichlich vorhandenen Skeptiker prophezeiten mindestens ein verwüstetes Schauspielhaus, wenn nicht Schrecklicheres. Die wenigen Optimisten mußten spätestens nach den Fußballrandalen im Dynamo-Stadion das Risiko einräumen. Sicherheitsmaßnahmen wurden deshalb getroffen, die Polizei sollte aber draußen bleiben. Techniker aus dem Haus bewachten die Treppenaufgänge und kontrollierten — es gab aber keinen Anlaß zum Eingreifen: Das Publikum ließ das Theater ganz und war gut drauf. Und: „Unser Dank gilt dem mutigsten aller Doktoren, dem Intendanten Dr. Görne, dessen Herz im Takt des Rock'n Roll schlägt und der sich auf ein solches Wagnis einließ.“ Rockgruppenschlangen vor der Intendanz? So war's ja doch nicht gemeint.
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