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Die Kälte der Milchstraße

■ »Nippon Zeitgeist«, japanische Filme im Arsenal

Jackson Pollock war hier« schreibt Shiro auf seiner täglichen Tour des Zeitungsaustragens auf die Wand einer Unterführung und läßt eine Flasche Milch darunter zerschellen. Doch anders als für den amerikanischen Maler, der sich in den Spuren tröpfelnder Farbe seiner Existenz versicherte, reicht die Spur der herunterrinnenden Milch nicht, um Shiro zu einem Entwurf seines Selbst zu verhelfen. Ohnmächtig schreibt er »Ich« auf eine Fahne und läuft mit dieser kalligraphischen Manifestation seiner Selbst in der Sylvesternacht, der Nacht vor seinem 18. Geburtstag, durch die Kleinstadt, die zu verlassen ihm nicht gelingt.

Von Shiro und seinem Freund Keita, von Katako und der Studentin Kyoko, die an der Schwelle der Selbstbestimmung ihres Lebens ins Trudeln geraten, erzählt Autor und Regisseur Sion Sono in seinem Film Fahrradseufzer. Das Mädchen Katako klettert auf einen Baum, vielleicht um dort ihr »Ich« wie ein Vogel auszubrüten. Keita, dessen Bewerbung an der Universität schiefgelaufen ist, bewegt sich steif und verloren wie Frankensteins Monster durch die Bilder. Keitas Familienmitglieder hat der Regisseur in Bärenfelle gesteckt: eine einfache und komische Metapher, um Keitos Fremdheit zu beschreiben. Shiro spinnt sich Drehbücher aus, in denen Drachenköpfige und Unsichtbare auftauchen und wie Comic-Versionen von säkularisierten Gralsrittern mit weißer Farbe einen Weg zu einem unbekannten Ziel markieren. Doch in ihrem Alltag können die Freunde diesen Weg nicht finden.

Ein Fahrrad wird vergraben, ein Fahrrad zerfällt, ein Fahrrad verbrennt. Diese Bilder sind verwoben in die Geschichten der Verluste und Verunsicherungen: fortsetzen läßt sich dies Fahrradleben, in dem Milch und Zeitungen auszutragen die einzige Beschäftigung ist, nicht länger.

Mit den Fahrradseufzern beginnt das Kino Arsenal eine Reihe japanischer Filme zu zeigen, die Verstörungen, das Zerbrechen der Identität und die Versteinerung der Gefühle thematisieren. Die jungen Filmemacher benutzen dabei in bewußter Distanzierung vom kommerziellen japanischen Actionkino eine stilisierte und ruhige Bildsprache: Sono beispielsweise packt seine Episoden fast immer in eine Einstellung und läßt die Schauspieler bewußt aus dem Rahmen des Bildausschnitts laufen. Er kann auf eine soziale Argumentation verzichten, muß die gesellschaftlich bedingte Begrenzung ihrer Möglichkeiten nicht nachzeichnen: spürbar sind sie durch die ästhetische Form. So entsprechen die aneinandergereihten Bild-erzählungen mehr einer Kette von kurzen Gedichten, die immer den schmerzhaften Kern des Ich-Verlustes bergen, als einer chronologischen und dramatischen Handlung.

Während Shiro in seinen Filmträumen poetisch seinen Abschied von der Jugend nimmt, ohne einen Einstieg in eine neue Lebensform zu finden, nähert sich der frühere Rocksänger Zazie in Go Rijus gleichnamigem Film seiner Umgebung mit Unterstützung einer Video-Kamera an. Vielleicht blinkt in der von uns belächelten Fotosucht japanischer Touristen ein Abglanz dieser medialen Umwege der Aneignung von Wirklichkeit auf. Mit dem Video verlockt Zazie seine Freundinnen zu Bekenntnissen und sichert ihnen zugleich die Wahrung einer Distanz. Seine Kamera erzeugt einen geschützten Kommunikationsraum, fast wie ein Beichtstuhl.

Doch auch in »Zazie« beendet Go Rijus den Weg der Selbstfindung mit dem Tod. Der Rocksänger, der sich auf der Tokioter Hafenseite in einen Bezirk der Stille auf einen passiven Beobachterposten zurückgezogen hat, wird von seiner Legende eingeholt. Galten seine Lieder der aggressiven und mörderischen Verzweiflung dessen, der von der Doppelmoral der Gesellschaft abgestoßen keine Regeln mehr akzeptieren kann, so begegnet er nun der Personifikation des von ihm besungenen Außenseiters, der seine Rache ausgerechnet an ihm, Zazie, vollzieht. Daß die jungen japanischen Filme auch »Rockangstfilme« genannt werden, erklärt sich nirgends so gut wie hier. Der in Rock und Punk kultivierte Mythos des Außenseiters gehört zu den Amerikanismen der japanischen Kultur.

Die Filme Zazie und Fahrradseufzer enden mit Bildern von großen Straßenkreuzungen: mitten im Verkehr sterben die Protagonisten allein und anonym. Die Wärme unter den Menschen erreicht sie nicht.

Von einem kalten und ausgewaschenen Blau ist der Film Kikuchi durchdrungen. Wie in den dokumentarischen Aufnahmen eines Forschers, der die vergröberten Affektschwellen des zum Roboter reduzierten Menschen erkundet, werden sieben Tage im Leben Kikuchis aufgezeichnet, der in einer Wäscherei arbeitet. In starren Einstellungen markiert Kenchi Iwamoto, Autor und Regisseur, mit wenigen Strichen die Geschichte einer menschlichen Versteinerung. In die Trostlosigkeit der einsamen Abende Kikuchis dringt eines Abends das Miauen einer kleinen Katze. Er nimmt sie auf, und ihr warmer Atem wird auf der Tonspur laut zum Hoffnungsträger, daß sich Kikuchi doch noch aus seiner Erstarrung lösen kann. Aber die kleine Katze fällt bald Kikuchis Hygienewahn zum Opfer und endet nach wenigen Filmminuten in einem Müllsack.

Sion Sono, geboren 1961, schloß sich an der Hosei-Universität in Tokyo einer Super-8-Filmgruppe an; sein erster langer 16-mm-Film Fahrradseufzer wurde von der Programmzeitschrift 'Pia‘ finanziert, die jährlich Super-8-Amateur Festivals veranstaltet. Auch Go Riju begann während seiner Schulzeit zu filmen und wurde durch ein 'Pia‘-Stipendium unterstützt. Kenchi Iwamoto, ebenfalls Jahrgang '61 arbeitete als Illustrator und Cartoonist, sein Kameramann Hideyo Fukuda war bisher Fotograf, die Beleuchtung gestaltete ein Fachmann für Werbefernsehen: ihr erster Film Kikuchi entstand aus eigenen Mitteln. Schon daß in den Biografien der Jungfilmer das Medium möglicherweise eine ähnliche identifikationsstiftende Rolle spielt wie in ihren Filmen ist ungewöhnlich; für hiesige Verhältnisse geradezu utopisch aber erscheint der Übergang von der experimentellen Amateurphase zu einem professionellen und unkonventionellen Kino. Die Autoren selbst haben damit einen Ausweg aus der Situation ihrer pessimistischen Geschichten gefunden. Katrin Bettina Müller

Nippon Zeitgeist läuft bis zum 17. April. Fahrradseufzer 9.4. 22.30 Uhr, Zazie 11.4. 22.15 Uhr und 15.4. 20 Uhr, Kikuchi 11.-14.4. täglich 20 Uhr im Arsenal.

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