Problem Moral - total out

■ Betr.: "Die dritte Atombombe", taz vom 2.4.91

betr.: „Die dritte Atombombe“ (Der Golfkrieg bedeutet eine mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki vergleichbare weltpolitische Zäsur) von Ekkehart Krippendorf,

taz vom 2.4.91

Notwendig wäre, daß dieser Artikel mindestens so lebhaft diskutiert würde wie zum Beispiel, zu Beginn des Golf-Krieges, der furiose Vergleich von Saddam Hussein mit Hitler. Doch ich fürchte, dies wird nicht geschehen, weil Ekkehart Krippendorf hier eine genaue Beschreibung unseres Zustandes gibt, welche keine Schuldzuschreibung an andere zuläßt. Und gerade darum wird man so tun, als sei nichts Einschneidendes geschehen.

Selbst wenn man versteht, daß dieser Krieg, mit dem Einsatz der neuesten Vernichtungswaffen, eine Schwelle der Gewalt überschritt, zuvor nur vergleichbar mit dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki, wird man daraus keine Konsequenzen ziehen. Denn in den vergangenen 45 Jahren entwickelte sich nicht nur die Waffentechnologie, sondern auch unsere Voraussetzungen, sie einzusetzen. Das Ganze wird so zu einem Problem der Moral, und die ist total out (was man auch an den Nachhut-Kämpfen gegen „Gesinnungen“ in den Feuilletons einiger Zeitungen im vorigen Jahr erkennen konnte).

Wie schwer unser Moral- und Rechtsempfinden beschädigt ist, wird überall deutlich. Nichts kann so unmoralisch sein, daß es noch Erschütterungen auslösen könnte, und so wird es keine Katharsis geben. Der Krieg gegen den „Bösen“ schlechthin, Saddam Hussein, wurde propagandistisch unterstützt mit Fotos von mit Giftgas ermordeten Kurden. Jetzt mordet derselbe Saddam Hussein wieder die Kurden und wieder mit Giftgas... und dies unter den Augen der anwesenden Alliierten, welche sogar den Einsatz von Flugzeugen dafür nicht verbieten.

Natürlich gibt es Empörung, doch äußert sie sich fast nur noch im machtlosen Bereich. Die Öffentlichkeit ist durch die Vervielfältigung der Informationsmöglichkeiten ohnmächtiger geworden, weil diese auch eine Bündelung und Steuerung ermöglicht, bis zur totalen Pressezensur. Wie wir gesehen haben, konnten militärische Aktionen wie nie zuvor durchgeführt werden, ohne jede Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Und auch dies ist eine Entwicklung in den letzten Jahren: Die Fülle und das Unrealistische der Informationen zerstören den Bezug des durch sie Erfahrenen zum eigenen Sein, entbinden den einzelnen so von jeglicher Verantwortung. Denkbar wäre, daß wir uns dahin entwickeln, daß die Pressezensur unserem Verlangen, in Unkenntnis zu bleiben, entgegenkommt. Wir scheinen auf dem Weg zu sein, Menschen zu werden, die zu den Waffen passen, die wir entwickelt haben. Da müßte sich viel ändern (aber wer traut sich schon eine Debatte über Moral zu) und dann könnte es vielleicht gelingen, auch aus der „Kriegslogik der Machtpolitik“ auszusteigen. Ingrid Bachér, (West)Berlin