piwik no script img

Keine Chance für die ostdeutschen Spinnereien

■ Gesamttextil sagt 140.000 wegfallende Arbeitsplätze voraus

Frankfurt (dpa) — Der Konsumstoß aus den neuen Bundesländern, die gute Autokonjunktur und Überkapazitäten bei Spinnereien und Webereien haben die deutsche Textilkonjunktur gespalten. Alle konsumnahen und technischen Bereiche liegen auf der Sonnenseite, während die Vorstufen im Schatten stehen, sagte Wolf Dieter Kruse, Präsident von Gesamttextil, am Montag in Frankfurt. Vor allem für die Textilindustrie in der ehemaligen DDR sehe es düster aus. „Wir gehen davon aus, daß weniger als ein Drittel der ehemals mehr als 210.000 Arbeitsplätze Bestand haben werden“, sagte Wolf.

Es gebe für westliche Investoren kaum Anreize, Textilfirmen in den neuen Bundesländern zu übernehmen, weil diese auf die Vorstufe spezialisiert seien. Europaweit bestünden aber Überkapazitäten bei Spinnereien und Webereien. Lebensfähig seien dagegen Betriebe, die konsumnahe Stoffe verarbeiteten oder technische Gewebe herstellten. 1990 sei die Textilproduktion in der Ex- DDR infolge des Hungers nach Westwaren im 3. Quartal bereits um die Hälfte und im 4. Quartal sogar um 61 Prozent gefallen.

Auch im Westen sank die Beschäftigtenzahl

Wie der Verbandspräsident am Tag vor dem Start der Frankfurter Fachmesse Interstoff sagte, erhöhte sich der Umsatz der rund 1.200 Betriebe um 4,9 Prozent auf 41,3 Milliarden DM. Dennoch sank die Zahl der Beschäftigten um 1,9 Prozent auf 209.500. Höhere Bestellungen ließen aber auf eine weiterhin gute Beschäftigung schließen. Auch im Januar und Februar hielt die günstige Konjunktur an, und die Textilfirmen verbuchten 8,2 Prozent höhere Bestellungen.

Der aufgestaute Kaufbedarf aus den neuen Bundesländern lief allerdings 1990 an den Textilunternehmen im deutschen Westen weitgehend vorbei. Er wurde nach Kruses Angaben überwiegend durch Einfuhren gedeckt. So wuchsen die Textilimporte um 14,3 Prozent auf 48,6 Milliarden DM und übertrafen damit die Textilausfuhren um 16,3 Milliarden DM. Vor allem eingeführte Fertigwaren schnellten um fünf Milliarden auf 33,4 Milliarden DM in die Höhe.

Über dem laufenden Jahr sieht Kruse trotz der guten Auftragseingänge „einige düstere Wolken schweben“. Beim Export zeigten wichtige Abnehmerländer Schwächetendenzen. Im Inland dürften die Steuererhöhungen zur Jahresmitte zu Einsparungen führen. „Textilien stehen bei vielen Familien an oberster Stelle der Liste von Anschaffungen, die vertagt werden“, meinte der Verbandspräsident. Dennoch dürfte das Produktionsergebnis unter dem Strich gehalten werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen