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Eine verlogene kleine Ratte

Über Krimiserien im allgemeinen und den „Kampf gegen die Mafia“ im besonderen  ■ Von Martin Compart

Was ist schlimmer als ein deutscher Kriminalroman? Genau. Ein deutscher Fernsehkrimi. Wenn Horst Tappert mit Hundeblick und dem feisten Fritz Wepper am Tatort erscheint, oder der völlig debile Peter Strohm durch ein nicht nachvollziehbares Handlungs-Chaos torkelt, graust es dem deutschen Krimi-Fan. Stories, die jedem Groschenheftautor um die Ohren geschlagen werden, nehmen die deutschen Fernsehredakteure vor Vergnügen quiekend entgegen.

Wundern muß einen das nicht: Über kriminalliterarische Bildung verfügt doch keiner von ihnen (weshalb öffentlich-rechtliche Redakteure auch so ungern qualitativ hochwertige angelsächsische Produktionen ins Programm nehmen). Will der deutsche TV-Krimi-Fan mal etwas Überdurchschnittliches sehen, muß er lange wachbleiben oder den Recorder timen. Denn ein Programm gibt es, das auch den anpruchsvollsten Fan befriedigt: Fast unbemerkt von der Kritik und einem anspruchsvollen Publikum strahlt RTLplus seit Juni letzten Jahres die augenblicklich beste Krimi-Serie aus. RTL ist allerdings selber schuld, daß die Serie bisher nicht den verdienten Bekanntheitsgrad erreicht hat: Seit dem Start wird sie von Sendeplatz zu Sendeplatz geschoben und dann auch noch die einzelnen Fortsetzungen der Zyklen oft wochenlang unterbrochen. Ab heute abend gibt es Wiseguy (ein Slangausdruck für Gangster), so der Originaltitel des verblödeten deutschen Serientitels Kampf gegen die Mafia wieder mittwochs um null Uhr herum (und steht damit gegen die andere sehenswerte Krimi-Serie Detektiv Rockford). Aber kluge Programmplanung war ja nie die Sache des Senders.

Der Wiseguy ist Winnie Terranova, Undercoveragent des Organized Crime Bureau des FBI. Seine Aufgabe ist es, in kriminelle Organisationen einzudringen und sie von innen heraus zu zerstören, oder soviel Beweismaterial zu sammeln, daß man Anklage erheben kann. Gespielt wird er vom ehemaligen „Wanderer“ Ken Wahl, der diese verlogene kleine Ratte, deren Aufgabe es ist, Freundschaft zu erschleichen und dann zu verraten, ungemein glaubwürdig rüberbringt. Tatsächlich gelingt es ihm sogar, Sympathie für diese Figur zu wecken. Zur Tarnung war er im Gefängnis und wurde im superben ersten Zyklus (den RTLplus hoffentich bald im Nachtprogramm wiederholt) Mitglied der Mafia. Sein Führungsoffizier ist der knallharte Frank McPike, der es nicht immer schafft, jede menschliche Regung zu unterdrücken. Und Kontakt hält Terranova über den an den Rollstuhl gefesselten Kommunikationsexperten „Lifeguard“. Terranovas Zielpersonen sind mächtige Waffen- und Drogenhändler, die ganze Regierungen manipulieren. Vermieden wurde bisher in der Serie jede grobkörnige Klischeehandlung und auch die moralischen Dimensionen einer vom Verbrechen unterwanderten Gesellschaft werden nicht ausgespart.

Wiseguy hat ein völlig neues Konzept in die Krimi-Serien gebracht: Nicht mehr in Einzelepisoden oder Doppelfolgen werden die Geschichten erzählt, sondern in Zyklen, die sich über bis zu dreizehn Folgen hinziehen. Das erlaubt natürlich viel mehr Tiefe in der Charakterisierung der Personen und größere Komplexität der Handlung.

Mit Miami Vice und Crime Story gehört Wiseguy zu den besten Serien der Achtziger. Alle drei bieten so etwas wie eine chronologische Analyse der organisierten Verbrechens: in Crime Story wurde erzählt, wie sich Anfang der sechziger Jahre die Mafia in legale Geschäfte einkaufte und durch Glücksspiel (Las Vegas) und Rauschgift zu einem Wirtschaftsfaktor wurde. Die ebenfalls von Michael Mann produzierte Serie Miami Vice zeigte, wie das Verbrechen bereits gewonnen hat und der großangelegte Rauschgifthandel der achtziger Jahre illegales Kapital erwirtschaftet, das nicht mehr kontrollierbar ist. Wiseguy zeigt nun, wie sehr die US-Wirtschaft bereits vom illegalen Kapital unterwandert und korrumpiert ist und wie unmöglich es ist, im US-Raubtierkapitalismus zwischen legalen und illegalen Geschäften zu unterscheiden. Tatsächlich zeigte der gerade abgeschlossene Zyklus über die New Yorker Textilindustrie, in dem Jerry Lewis einen ekelhaften Bekleidungsproduzenten spielt, wie durch Manipulationen Börsenkurse beeinflußt werden und bisher legale Geschäfte von Gangstern, die selbstverständlich mit Börsenfirmen auf gutem Fuß stehen, übernommen werden. Dieselbe Thematik, von deutschen TV-Machern behandelt, wäre wohl unerträglich langweilig geworden.

Gedreht wird die in den USA nach wie vor erfolgreiche Serie seit ihrem Start 1987 in Kanada. Weniger verkrustete Gewerkschaftsbedingungen machen Kanada für amerikanische TV-Produzenten als Produktionsstätte immer attraktiver. Und seit Miami Vice zeichnet die Produktionen der besseren Prime-Time-Shows filmische Qualität aus. Bei Wiseguy hat eine Action-Sequenz mehr Schnitte als ein durchschnittlicher deutscher Spielfilm.

Für den Erfolg von Wiseguy ist vor allem ein Mann zuständig: Stephen J. Canell, der die Serie zusammen mit Frank Lupo (beide arbeiten schon länger zusammen) entwickelt hat. Der 1941 geborene Stephen J. Canell ist heute einer der erfolgreichsten Fernsehserienproduzenten der USA. Dabei hat er sich ganz den Action- und Krimi-Serien verschrieben.

Er begann Ende der sechziger Jahre als Autor für die langlebige Streifenwagenserie Adam 12. Seine große Chance kam 1974, als einer der größten und besten Serienerfinder und Produzenten, Roy Huggins (Maverick, Auf der Flucht, 77 Sunset Strip und so weiter), ihm anbot, zusammen mit ihm die Serie Detektiv Rockford für James Garner zu schreiben und zu produzieren. Huggins hatte zuvor mit dem Nachwuchstalent an der kurzlebigen Serie Toma mit Tony Musante zusammengearbeitet. Mit dieser besten amerikanischen Krimi-Serie der siebziger Jahre erwarb sich Canell den Ruf, als Autor und Produzent Serien mit hohem Niveau und Erfolg bei Publikum und Kritik zu realisieren. Mit dem Ruf des Wunderknaben im Rücken gründete er 1979 seine eigene Produktionsfirma. Die Ironisierung der Figur des Privatdetektivs, die bei Rockford so wunderbar funktionierte, trieb Cannell 1980 mit seiner Serie Tensspeed & Brown Shoe (im deutschen Fernsehen als Die Schnüffler) mit Ben Vereen und Jeff Goldblum auf die Spitze, bis hin zur Parodie. Großer Erfolg der Serie bei der Kritik und totaler Durchfall beim Publikum sorgten dafür, daß Cannell anschließend nur noch anspruchslose Serien, die auf ein großes Publikum abzielten, produzierte. In den achtziger Jahren war er vor allem mit anspruchslosen Action-Serien für Kinder oder andere TV-Dauerkonsumenten erfolgreich: Trio für vier Fäuste, Hardcastle & McCormick, The Greatest American Hero, die dumpfe Polizei-Serie Hunter und das unsägliche A-Team waren alles Serien, in denen es darum ging, soviele Autos wie möglich zu Alteisen zu verarbeiten und Papp-Charaktere in ununterbrochene Comic-Schießereien und -prügeleien zu verwickeln.

Cannells Reputation bei den anspruchsvollen Krimi-Fans war dahin. Mit Wiseguy hat er sich glänzend rehabilitert. Die Serie setzt an intelligenter Handlungsstruktur, ausgefeilten Charakteren fernab jeden Klischees und besten Dialogen neue Maßstäbe. Diese TV-Serie ist tatsächlich den besten Werken der amerikanischen Kriminalliteratur gleichwertig, manchen sogar überlegen. Dagegen wirken unsere einheimischen Krimiprodukte unsäglich primitiv. Nach einer Folge Kampf gegen die Mafia möchte man den deutschen Verantwortlichen zurufen: Packt die Rotweinflasche ein und geht nach Hause.

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