: Das kann man anders sehen-betr.: "Gereizte Lobbyisten", Kommentar von Klaus Hartung, taz vom 4.4.91
betr.: „Gereizte Lobbyisten“, Kommentar von Klaus Hartung, taz vom 4.4.91
Klaus Hartung vertritt wieder seinen schon öfter des Drucks für würdig befundenen Standpunkt, nur kleinkarierte Villenbesitzer und andere Liebhaber einer mit reichlich Gartenzwergen ausgestatteten Provinzidylle könnten unsinnigerweise einer Regierungshauptstadt Bonn das Wort reden. Er hält die Qualität der Pro-Berlin-Stellungnahmen des Bundespräsidenten schon dadurch für erwiesen, daß die oben genannten Kleingeister so aufgeschreckt auf sie reagieren. Das kann man anders sehen.
Der Regierungssitz in der Provinz war ein Erfolg. Die alte Bundesrepublik war für deutsche Verhältnisse ein sozial orientierter Staat, ein anpassungsfähiger Staat, ein für seine Nachbarn ungefährlicher Staat und prosperierend war dieser Staat auch. Das verbindet sich positiv mit Bonn.
Bonn steht für eine Gewaltenteilung ganz besonderer Art. Die Eliten der zentralen politischen Macht und die Wirtschaftseliten befinden sich nicht an einem Ort. Das macht Verfilzung nicht unmöglich, es erschwert sie aber auch im Zeitalter der Telekommunikation. Wirtschaftslobbyismus auf höchster Ebene ist in Bonn eher eine Sache der Landesfürsten und damit balanciert er sich, vermutlich zum Wohle der staatlichen Entwicklung.
Für die große Aufgabe der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltunion ist nun für den Bundespräsidenten Berlin der Platz, wo die Politik gemacht werden muß, die dafür zu sorgen hat, „daß auf die Dauer kein Nebeneinander zweier völlig unterschiedlich belasteter Bevölkerungsteile bestehen bleibt. Nur in Berlin kommen wir wirklich aus beiden Teilen und sind doch eins“ (aus der Rede des Bundespräsidenten anläßlich der Verleihung der Berliner Ehrenbürgerwürde in der Nicolaikirche). Was hier zum Ausdruck kommt, ist der Glaube an die Kraft einer tatsächlich meines Erachtens nur als Illusion in der Generation unserer Väter vorhandenen Einheit, die die 40jährige Trennung unbeschadet überstanden haben soll und nun mit Macht zu solidarischen Taten drängt: Einigkeit macht stark.
Der Gefahr, daß Einigkeit auch dumm und korrupt machen kann, soll das „wache, weltoffene, kritische Publikum einer Metropole“ (oben genannte Rede) entgegenwirken (im Gegensatz zu der in das Dorf Bonn per Gewaltenteilung eingebauten Kontrolle). Aber Berlin hat nicht nur eine Tradition des wachen, weltoffenen kritischen Publikums, sondern in den letzten Jahrzehnten auch eine ansehnliche Tradition des Filzes, im Westen durch die Subventionswirtschaft, im Osten durch den Parteiklüngel genährt. Mir wird angst vor der Verbindung von wirtschaftlicher und politischer Macht in dieser, der größten Metropole des neuen Bundesgebietes in dieser unanständiger werdenden Republik.
Auch die Botschaft, daß durch einen Regierungssitz Berlin die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse besonders gut befördert wird, hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Zunächst wird nämlich durch die Regierungssitzfunktion der besondere Status Berlins zementiert, der sich auch in der Vergangenheit in beiden Teilen der Stadt von der realen Misere in der DDR für die Berliner angenehm abhob. Wenn man will, daß die starke Stadt Berlin ein Teil der Ex-DDR wird und in ihr ein integrierter Motor des Fortschritts, dann sollte man ihr die Regierungssitzkontrolle nicht aufbürden.
Eigene Kraft der neuen Länder und Solidarität des Westens mit dem Osten ist gefragt. Zur eigenen Kraft trägt eine ostdeutsche Metropole Berlin bei, und Solidarität des Westens — als Westen — kann gut von Bonn aus geübt werden. Bonn ist der Ort, woran wesentliche Teile westdeutscher Geschichte festgemacht werden und von dort aus kann sich der Westen freiwillig, unter Wahrung seiner Identität, nach Osten öffnen. Berlin nicht hängen zu lassen, wäre dann ein Beispiel praktischer Solidarität. Dr. Wolfgang Seyfert, Berlin
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