: Autoritäre Wende in Italien?
■ Europäische Staaten sollten Vorgänge bei der 50. Regierungsbildung im Auge behalten
Autoritäre Wende in Italien? Europäische Staaten sollten Vorgänge bei der 50. Regierungsbildung im Auge behalten
Noch ist nicht sicher, ob der bisherige und designierte neue italienische Regierungschef Andreotti den vom Staatspräsidenten erteilten Auftrag erfüllen kann und will, den Übergang zu einer anderen Staatsform einzuleiten. Doch eine überaus mächtige Polit-Brüderschaft stößt das Land derart heftig in diese Richtung, daß die angepeilte autoritäre Wende nur noch eine Frage der Zeit scheint: eine Präsidialrepublik nach De Gaulleschem Muster, mit einem starken Präsidenten und einer Marionettenregierung und bedeutungslosen Gewerkschaften. Was den Normalbetrachter zunächst verwundert: die Aushebelung der ersten italienischen Republik erfolgt zu einem Zeitpunkt, da es weder Terrorismus noch starke soziale Spannungen gibt, die einst nahe zwanzig Prozent liegende Inflation auf gut sechs Prozent, die Zahl der Arbeitslosen von fast fünf auf etwa drei Millionen gesunken ist. Auch wenn das Land wegen seiner Staatsverschuldung noch immer gescholten wird: seine industrielle Produktion steht unangefochten weltweit an fünfter Stelle.
Was also steckt hinter Cossigas Vorstoß? Die Gruppen, die hinter den Kulissen drängeln und schieben, gehören nicht gerade zu den aufrechtesten Vertretern von Rechtsstaat und Demokratie: Sozialisten, denen der Volksmund seit langem nachsagt, sie seien die größten Klauer der Nation, Logenbrüder der „Propaganda 2“, Mafiosi, aber auch Unternehmer, die sich nach jener Zeit sehnen, als nicht die Regenten dem Volk, sondern dieses den Regenten verantwortlich war. Vielen von ihnen ist wahrscheinlich schon die Tatsache eine Erleichterung, daß die Verfassungsdiskussion derzeit von allen anderen Skandalen ablenkt: den um die Geheimstruktur „Gladio“, um die massenhaften Freisprüche von Mafiosi, die ungesühnten rechtsterroristischen Anschläge, die Verwicklungen von Parteichefs in trübe Machenschaften sowie die Veruntreuung von Erdbebenhilfen und Schmiergeldern für öffentliche Bauten.
Die übliche Einschätzung, es handle sich wieder mal um südländische Exotik, könnte sich als böse Fehleinschätzung erweisen. Italien war in der Geschichte immer wieder Trendsetter für Entwicklungen jenseits der Alpen. Auch das demokratische Nachkriegsitalien ist bei vielen, auch unheilvollen Entwicklungen vorausgegangen; von der Gängelung und Zerstörung der Arbeiterbewegung über die teilweise rechtsstaatswidrigen Antiterrorismus-Maßnahmen bis zu den harschen Ausländergesetzen der letzten Jahre. Werner Raith
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