piwik no script img

„Bei den Polen entschuldigen“

■ CDU-Abgeordneter verurteilt die antipolnischen Reaktionen auf die Grenzöffnung

Berlin (taz) — Großstadt im Herzen Europas, multikulturelle Metropole, Tor gen Ost = Berlin? Gern legt sich die Stadt diese Attribute zu — in Werbeprospekten. In der Praxis wird Multikultur zum ordnungspolitischen Problem. Neuestes Beispiel: die Grenzöffnung für PolInnen. Kein Politiker hielt es für nötig, die Gäste aus dem Nachbarland vorgestern willkommen zu heißen, bemängelte der Vizevorsitzende des polnischen Sozialrats. Statt dessen, so Hans-Peter Meister gestern, „begegnet man den Polen mit Polizei, Müllabfuhr und Straftäterkartei. Und das prägt die öffentliche Meinung.“ Mit Hilfe der Medien wurden Hysterie und Ablehnung geschürt, ärgert er sich. Und daß das rechtsradikale Treiben an den Grenzen nicht unterbunden wurde, zeigt für ihn, daß Polizei und Politiker versagt haben.

Der brandenburgische Innenminister Ziel (SPD) nahm die Polizei gegen solche Vorwürfe in Schutz. Die Beamten hätten sich rechtzeitig auf die Situation eingestellt und ihre Kräfte an den Grenzübergängen verstärkt. Die Behörden in Frankfurt/ Oder verweisen auf 16 Ermittlungsverfahren, die sie eingeleitet haben, 13 Ordnungswidrigkeiten, für die sich die Rechtsradikalen verantworten müßten. Insgesamt hätten sie 41 Personen festgenommen, die aber alle wieder auf freiem Fuß sind. Eine fest strukturierte rechte Szene wollen die Behörden in Frankfurt nicht entdecken können — obwohl die zugeben mußten, daß fast alle Jugendlichen, die die PolInnen mit Schmäh- und Schimpfreden empfingen, aus der Stadt kommen und „bekannte Größen“ sind.

Die Ressentiments, die seine Landsleute vor allem an den Grenzen ertragen müssen, bewertet Michal Czaplinski mit bewundernswerter Gelassenheit. Von seinem Schreibtisch in der polnischen Botschaft aus sieht er keine grundsätzlich antipolnische Stimmung in Deutschland. „Wir sind in Europa in einer Umbruchphase. Und bei solchen Zwischenstationen gibt es immer Probleme.“ Er hofft, glaubt aber zu Recht nicht daran, daß die Ereignisse an der Grenze ein einmaliges Ereignis waren. Trotzdem: Die polnischen Händler würden oft genug zu Unrecht das Bild der gesamten polnischen Bevölkerung prägen. Genauso falsch sei es, alle Deutschen für die unangenehmen Reaktionen einiger Rechter auf die Grenzöffnung verantwortlich zu machen.

Diese moderaten Worte scheint man in Bonn gehört zu haben. Der CDU-Abgeordnete Pflüger schämte sich gestern öffentlich und stellvertretend für seine deutschen Landsleute und wollte, „daß wir uns bei den Polen für die Ausschreitungen einer rechtsextremen Minderheit entschuldigen“. bam

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen