: Dritte Welt befürchtet Souveränitätsverlust
■ Das UN-Verhalten zur Kurdenkrise birgt Zündstoff
In den Regierungszentralen der Dritten Welt schrillen die Alarmglocken. Der Vorschlag, die irakischen Kurden gewissermaßen der irakischen Staatshoheit zu entziehen, stößt in all jenen Staaten auf Mißtrauen, wo nationale Minderheiten oder bewaffnete Oppositionsgruppen den Herrschenden die Macht über ihr Territorium streitig machen.
Weder China noch Indien, Jemen, Kuba oder Simbabwe unterstützten am Freitag im UN-Sicherheitsrat die Resolution 688, mit der der Irak aufgefordert wird, die Verfolgung seiner inneren Opposition zu beenden und internationalen Zugang zu den Bürgerkriegsopfern zu gewährleisten. Es geht diesen Staaten aber nicht nur um selbstverständliche Machtinteressen. Es geht auch um die Frage, inwieweit die Staaten des Nordens in Zukunft den Ländern der Dritten Welt die Bedingungen für Hilfsaktionen diktieren dürfen.
Überlegungen, humanitäre Hilfe von Regierungen zu verlangen, ihre ungeteilte Entscheidungsfreiheit über die Durchlässigkeit ihrer Staatsgrenze und auch über Teile ihres Staatsgebietes zu suspendieren, sind nicht neu. Im Dezember 1988 verabschiedete die UN-Vollversammlung zwei Resolutionen, in denen freier Zugang zu Opfern von „Naturkatastrophen und anderen gleichwertigen Notlagen“ gefordert sowie — unter dem Eindruck des armenischen Erdbebens — die Idee von „humanitären Notkorridoren“ eingeführt wurden. Inzwischen ist es in Afrika selbstverständlich, daß bei größeren Hilfsaktionen Transportwege oder „Friedenskorridore“ festgelegt werden, in denen die (Bürger-)Kriegsparteien — also auch der Staat — auf die Durchsetzung ihres Machtanspruchs verzichten. Im Herbst 1990 gehörte dies zu den wichtigsten Verhandlungsgegenständen des Friedensprozesses in Angola. Anfang 1991 nahm in Eritrea die äthiopische Regierung einen faktischen Hoheitsverzicht auf Gebiete hin, die von der eritreischen Befreiungsfront gehalten wurden. Nur so war es möglich, daß die UNO den Hungernden helfen konnte.
Unter dem Eindruck wachsender Flüchtlingsströme in der Dritten Welt bei gleichzeitig wachsender Handlungsunfähigkeit der dortigen Regierungen wird Nothilfe somit der Verantwortung einzelner Staaten entzogen und in die Hände zwischenstaatlicher Organisationen gelegt. Bisher wurden deren Befugnisse im gegenseitigen Einvernehmen festgelegt. In der Kurdenkrise zeigt sich nun, daß die internationale Staatengemeinschaft die partielle Aufhebung der staatlichen Hoheit auch gegen den Willen der betroffenen Regierung durchzusetzen sucht. Dominic Johnson
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