piwik no script img

Weizsäcker: Stilblüten beim Akt

■ Bundespräsident über Rohwedder: „In seinem Wesen vollzog sich die Vereinigung“/ Andenken soll „unerhörte Gemeinschaftsleistung“ fördern

Berlin (dpa) — In seiner Rede beim Staatsakt für den ermordeten Präsidenten der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, sagte Bundespräsident von Weizsäcker unter anderem folgendes:

„... Detlev Rohwedder hatte eine Aufgabe übernommen, die für uns alle von zentraler Bedeutung ist, und er hat sich ihr mit dem Einsatz seines Lebens gewidmet.

... Kaum einer sah von Beginn an die Schwierigkeiten so deutlich wie Rohwedder. Ihm war das gewaltige Ausmaß der notwendigen Umstellungen mit ihrem Zeitbedarf und ihren tief einschneidenden sozialen Wirkungen vollkommen bewußt. Um so kraftvoller bemühte er sich darum, die Menschen materiell und seelisch nicht unter die Räder kommen zu lassen. Er war ein überzeugter Vertreter der Marktwirtschaft, aber er fuhr mit Vehemenz dazwischen, wenn allzu findige Privatisierungsabsichten gegen seine Überzeugung von öffentlichem Wohl und Sozialbildung einer humanen Wirtschaftspolitik verstießen. Stets war es eine gesamtdeutsche Sozialbindung, auf die es ihm ankam ... In seinem Wesen vollzog sich die Vereinigung. Darum war er an seinem Platz so glaubwürdig ... Sein Vermächtnis bedeutet, in dieser Stunde Herz und Verstand ganz und gar für einander zu öffnen. Jeder von uns kennt doch aus eigener Lebenserfahrung in einer schweren Lage die plötzliche Erkenntnis, daß es nun um das Wesentliche geht. Dann treten auf einmal die alltäglichen kleinen Interessen und Kämpfe und Irritationen in den Hintergrund, und es zählen nur noch wahrhaft größere Maßstäbe ....

Deshalb kommt es jetzt gar nicht darauf an, wer immer schon alles gewußt hat. Es ist ganz unwichtig, Recht zu behalten. Es nützt niemandem, die Irrtümer anderer auszunützen. Und es ist schwer erträglich, wenn jemand aus Schwierigkeiten Sensationen macht, um von ihrer Propagierung zu profitieren. Entscheidend ist es heute, zusammenzustehen. Die Notstände gehen uns alle an. Deshalb gilt es, sich die Aufgabe ihrer Überwindung zu teilen. Das bedeutet vor allem, sich am Geschick des anderen auch innerlich zu beteiligen. Denn nur in dem Maße, in dem es der andere schafft, wird auch das eigene Schicksal gelingen.

... Wir müssen nicht nur sporadisch, sondern ganz bewußt und planmäßig zusammenarbeiten, wo nötig auch in der Form verbindlicher Verabredungen. Worauf es ankommt, ist, eine unerhörte Gemeinschaftsleistung zustande zu bringen. An unserer Fähigkeit zur Solidarität wird sich unser Weg in die Einheit entscheiden ... In Zukunft wird uns bei unseren Worten und Taten der Gedanke an sein Leben und Wirken nicht mehr loslassen ...“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen