: Neun Kilo Paradies
■ Die Edition PUNT in der Galerie Prisma, Ruth Tesmar bei den Konvergenzen
56 x 51 x 6,5 Zentimeter sowie ein Gewicht von 9 Kilogramm lassen auf die Angaben zu einer spätmittelalterlichen, prachtvollen Bibelausgabe schließen oder auf erste Blockbücher aus der Zeit früher deutscher Holzschnitt-Tradition. Ihre tatsächliche Zugehörigkeit gilt dem Erstlingswerk der Edition PUNT, seit dem 3. April zu sehen in der Berliner Galerie Prisma. Die mit zehn Exemplaren geplante Buchausgabe zu einem Gedicht von Else Lasker-Schüler mit jeweils acht im Handabzug geschaffenen farbigen Holzdrucken von Ruth Tesmar ist das Fanal zu dieser Edition. Kurz nach dem Erscheinen der ersten beiden Exemplare zur Jahreswende 1990/91 sicherte sich bereits Rainer Ebert in seiner Kunsthändlerfindigkeit eines von ihnen für die Galerie Berlin. Ebenfalls von Hand gefertigt wurden Satz, Druck, Einband und Prägung, was jedem einzelnen Band einen unikaten Charakter verleiht. Hier zeichnet sich bereits der Anspruch der beiden Macher ab: eine Symbiose anzustreben zwischen Bildkunst, Typographie und Buchgestaltung, ein Verhältnis zwischen dieser Dreiheit herzustellen, das den Einzelelementen innerhalb der Konstellation eine gewisse Würdigung zuteil werden läßt.
Heute Bücher zu machen heißt, sich gegen die Beliebigkeit im Umgang mit Wort und Bild infolge der Medienflut zu wehren. »Ein Buch will in die Hand genommern werden, zwingt, mehreres anzusehen, etwas zu lesen und dabei ein wenig Ruhe zu bewahren, was bei allen anderen Medien weder möglich noch notwendig ist«, so Ruth Tesmar. Der Gedanke des Bewahrens oder auch Aufbewahrens von Bild- und Schriftkunst steht hierbei ohne Zweifel im Vordergrund; doch wird die Zuordnung von Grafik nicht im Sinne einer Illustration verstanden. Das traditionelle Handhaben eines Buches verhindert nach Auffassung beider Künstler das schnelle »Weglegen« eines darin enthaltenen grafischen Blattes oder Textes.
So wird das Gedicht von Lasker-Schüler in Doppelverse zergliedert, die jeweils als Sinneinheit fungieren und auf einer Einzelseite als Gegenüber eines der acht Holzschnitte erscheinen: eine Möglichkeit, dem Text in wohliger Langsamkeit zu folgen, ihn nachklingen zu lassen und so der Begleitung der Holzdrucke durch die einzelnen Verszeilen gewahr zu werden. Zwar entstanden die grafischen Blätter in bewußter Folge im Sinne einer Zuordnung, doch wäre es ebenso legitim, Text und Bild in ihrer jeweiligen Eigenständigkeit zu betrachten. Die unikaten Farbholzdrucke von Tesmar sind in fast 4 Millimeter starke kaschierte Passepartouts eingelegt, die wiederum eine schmale Goldkante umfaßt. Gold als Ausdruck von sakraler Kostbarkeit und Gold als tradierte Aufforderung zur Andacht, zur Sammlung und zum Besinnen auf sich selbst.
Neben dem verwendeten Text Else Lasker-Schülers wäre ebenso Lyrik Arthur Rimbauds oder Paul Celans denkbar, deren bis zum Zeichenhaften reduzierte Sprachform Ruth Tesmar sehr nahe steht. Was hier mit Sprache geschieht — Versuche der höchstmöglichen Vereinfachung, die trotzdem Raum für das subjektiv Alltägliche des einzelnen bieten — will Tesmar mit grafischen Mitteln geschehen lassen. Die in der Erstausgabe der Edition PUNT enthaltenen Arbeiten weisen weit über die Anfänge dieser Suche hinaus. Hier trifft man erstmalig auf eine Kombination ihrer bisher parallel entstandenen, geschlossenen bzw. spielerisch offenen Blätter. Letztere an Miros springende Leichtigkeit erinnernden Arbeiten, in denen der mehrfarbige Holzdruck durch Prägung und Monotypie ergänzt wird, bezeichnete Ruth Tesmar bisher lediglich als »notwendige Begleitung«.
Jetzt vereinen sich beide Arbeitsweisen auf ein und derselben Bildfläche. Die immer wiederkehrenden Zeichen und Symbole, wie Mond, Sterne, verschiedenste geometrische Formen, Spirale, Auge oder auch Hand treten auf dem Blatt miteinander in Beziehung, überlagern sich schablonenähnlich, umwinden einander, grenzen ab und verbinden zugleich. In sämtlichen Farbholzdrucken werden Formenfragmente zum eigentlichen Sinnzusammenhang kombiniert; Entstehendes wird hierbei nie vorgeplant, jeweils mit ungewissem Ende begonnen und dem Zufälligen sein Freiraum gegeben. Die naß übereinander gelagerten Farbschichten vermischen sich und lassen neben einer reliefartigen Oberfläche malerische Übergänge entstehen; satte, dumpfe, sumpfige Farbklänge, wobei die Schwarzplatte durch erdigschwere Töne ergänzt wird.
PUNT nimmt auf die altägyptische Paradiesvorstellung Bezug; deren auf Scherben überlieferte Beschreibung ist sowohl zeitlich als auch lokal derart unbestimmt, daß bis heute die Möglichkeit besteht, mit ihr im Alltag umzugehen, zusammen mit all dem, was im eigentlichen Sinne nichts mit PUNT zu tun hat. Schwierigkeiten, denen sich die PUNTfahrer während der langen Suche auszusetzen hatten, und die Art der mitgebrachten Köstlichkeiten woben um den Begriff den Nimbus einer unerreichbaren herrlichen Welt.
»PUNT im Raum werden zu lassen«, schwebte Ruth Tesmar für ihre Ausstellung in der Berliner Festspielgalerie vor. Sie wurde am vergangenen Sonntag eröffnet. Innerhalb des Ausstellungsprojektes »Konvergenzen« zeigt die Galerie 1991 »zwanzig Künstlerinnen, fünf Komponistinnen und zehn Kunstvermittlerinnen (...), paritätisch aus Ost und West zusammengesetzt«, so das Informationsblatt; derzeit also Ruth Tesmar, die Engländerin Ann Noel und die in Berlin lebenden japanische Komponistin Mayako Kubo.
Über das heutige Angemessensein derartiger noch vor der Maueröffnung angedachter Ausstellungskonzepte ließe sich streiten. In der Festspielgalerie wirkt das Beharren, weiterhin unorganische Ost-West-Mixturen zu brauen, besonders suspekt. Nicht genug dessen, will selbst den Künstlerinnen die beabsichtigte »Raumeroberung« nur bedingt gelingen. Wenn auch Ruth Tesmar versteht, im Gegensatz zu ihrer Konvergenzpartnerin Ann Noel, mit der Fläche souverän umzugehen, hätte ihre hier gezeigte Paravent wohl in der Galerie Prisma, innerhalb der dort präsentierten PUNT-Edition einen wirkungsvolleren Platz gefunden. Hier hätte sich ein tatsächliches Konvergieren zwischen den großformatigen Farbholzdrucken und den Symbol- und Zeichenrastern in schwarz/ weiß ergeben können. Um nicht länger über diese vergebene Möglichkeit zu lamentieren, liegt es näher, noch einiges zur Edition PUNT anzuschließen.
Im ersten Buch ihrer Edition sehen die Tesmars »den Ausgangspunkt für eine Entdeckungsreise in das ihnen eigentlich noch Unbekannte«. Derzeit sind sie selbst gespannt, was sich von Buch zu Buch an Neuem ergibt. So wird an ein Aufgreifen der Bildergeschichtentradition gedacht, auch an Majakowksis Rosta-Fenster. Auf die Frage nach bevorzugten Textgrundlagen wird Arno Schmidt genannt, dazu selbst Nacherzähltes oder auch Briefwechsel aus verschiedensten Jahrhunderten. Ihre Überlegungen schließen aber auch das bloße Experimentieren mit Text, den spielerischen Umgang mit Buchstaben als eigenständige Bildelemente ein. Als Beweis hierfür steht bereits das Frontispitz der beschriebenen ersten Ausgabe, welches Lutz Tesmar entwarf. Es benennt in einer elffarbig leuchtenden Buchstabenmelodie den Titel des Lasker-Schüler- Gedichts. Zur Mainzer Buchmesse im Mai werden die beiden Künstler bereits sieben inzwischen herausgegebene Künstlerbücher und Mappenwerke vorstellen.
Im beschriebenen Debütstück wird klar, daß sich seine Besonderheit in der kraß-gegensätzlichen Persönlichkeitsstruktur ihrer beiden Macher begründet, woraus sich im Buch eine eigene dritte Identität ergibt; bestehend aus spartanisch intellektualisierter Ernsthaftigkeit sowie spielerisch phantasievoller Verfremdung. Eine Verbindung, die die gesamten Edition auszeichnen könnte. Liane Burkhardt
»Traumverst« in der Galerie Prisma bis 4. Mai, Rosenthaler Str. 19, Di-Fr 14-18, Sa 10-14 Uhr, »Konvergenzen« in der Festspielgalerie, Budapester Str. 48, bis 24.4., täglich 12-18 Uhr
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