: Buhlen um das Alternative Zentrum
Das Erfurter AJZ hat an Power eingebüßt, zur Aktionswoche kamen enttäuschend wenig ■ Von René Radix
Erfurt (taz) — Still geworden ist es ums Alternative Jugendzentrum in Erfurt. Kamen im vergangenen Jahr noch einige Tausend BesucherInnen zur Aktionswoche des AJZ, waren es in diesem Jahr gerade mal ein paar Hundert. Das ist zwar immer noch eine ganze Menge für Erfurter Verhältnisse, doch viele haben dem AJZ den Rücken gekehrt. Droht das in Ostdeutschland relativ einmalige Projekt den Bach runterzugehen? Ob die gerade zu Ende gegangene Aktionswoche die Reputation des Zentrums aufpolieren konnte? Einige AJZler bezweifelten den Erfolg auf der Vollversammlung nach der Woche. Die obligatorischen Pannen blieben nicht aus, darüber war man sich schon von vornherein im klaren, daß kaum eine Band zu den angekündigten Terminen gespielt hat, war heftig. Viele Bands reisten gar nicht erst an, so zum Beispiel „Die Firma“, „Die Art“ oder „Kaltfront“. Mit „Sandow“ mögen wohl nur die Kühnsten gerechnet haben.
Auch die erhofften Einnahmen blieben weit unter den Erwartungen. 10.000 bis 15.000 DM sind futsch, so der Finanzbeauftragte. Zwar würde man noch schwarze Zahlen schreiben, doch wäre finanziell gesehen die Aktionswoche eine Pleite gewesen. Insgesamt wurde das Zentrum um dringend benötigte Mittel gebracht, etwa um das desolate Dach zu flicken oder die üblen sanitären Verhältnisse zu sanieren.
Mehr Zuspruch fand dagegen das Kinderfest gegenüber der Krämerbrücke. Auch der Maler-Workshop war so etwas wie ein „voller Erfolg“: Die Bilder gingen weg wie warme Semmeln, sie wurden für fünf bis zehn Mark versteigert. Theater, Mittelaltermarkt und ein Suchtnachmittag — andere Highlights der Aktion. Trotzdem blieb einigen ein fader Nachgeschmack nicht erspart. Das Alternative Jugendzentrum ist nicht mehr das, was es mal war, hört man/ frau allenthalben in Erfurt. Ist heute gerade mal ein Häuflein von den 20 bis 30 Punks übriggeblieben, frequentierten früher Leute querbeet durch alle Lager und Altersstrukturen das AJZ. Woran das liegt? Einigen ist das AJZ zu unpolitisch, von „autonom“ könne keine Rede sein. Früher wurde aus dem Haus aktive Antifa gemacht; die ist nun eingeschlafen. Tatsächlich lief während der ganzen Woche keine politische Aktion, keine Demo, nicht einmal ein Flugblatt wurde verteilt. Als autonom wollen die AJZler auch gar nicht mehr gelten, so Geschäftsführer Ingo Günther. Autonom beziehe sich auf Unabhängigkeit des Zentrums von der Stadt. Sogar die geplante Abschluß-Fahraddemo wurde abgesagt. Das Ordnungsamt der Stadt verbot sie; die Jugendlichen, daß heißt Geschäftsführer, gehorchten (brav). Im vergangenen Jahr radelten noch 250 Leute... Der geplante Hungerstreik, um die Forderungen des Hauses durchzusetzen, wurde auch abgeblasen, OB Manfred Ruge (CDU) hatte eilends zwei Tage zuvor seine Unterstützung für das AJZ signalisiert: „Ich habe mit den Jugendlichen ein einvernehmliches und gutes Gespräch geführt.“
So fährt das Haus einen soften Kurs der Kungelei zur Durchsetzung der Selbstverwaltung. Doch beides hängt derzeit in der Luft. Das AJZ liegt an der touritischen Hauptattraktion der Stadt, der Krämerbrücke. Zudem bestehen Ansprüche einer westlichen Erbgemeinschaft. Die Stadt würde lieber heute als morgen die Jugendlichen in einem anderen Projekt weitab vom Zentrum unterbringen. Dem Jugendamt käme das sehr gelegen, das Haus, das in Erfurt für die Jugend die meiste Kultur anbietet, in das die Besucher über 60.000 Mark aus der eigenen Tasche gesteckt haben, unter ihre Fittiche zu bekommen.
Zwar überschlagen sich Erfurter OB und Kommunalpolitiker über das Neue Forum bis zum Jugendamt in Lob, doch nichts passiert. Das Neue Forum will einen Entschließungsantrag zur Durchsetzung des Hauses im Stadtparlament einbringen. Ruge soll für den Fünf-Punkte-Plan seine Unterstützung bekundet haben. Jedoch ist stadtweit bekannt, das die CDU-Fraktion nicht immer glücklich mit den Entscheidungen ihres OBs (CDU) ist. Die Hardliner in den Reihen der Christdemokraten wollten das Haus nach einem Angriff von 200 Skins im vergangenen Oktober räumen lassen.
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