Gies' Flucht vor Wanzen und anderem Ungeziefer

■ Der Regierungschef von Sachsen-Anhalt Gerd Gies war sein eigener Gast

Magdeburg (taz) — Wer in den vergangenen Tagen nach Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Gerd Gies (CDU) suchte, der suchte vergeblich. Gies war quasi abgetaucht, hatte sein Domizil in der Staatskanzlei fluchtartig geräumt und einen provisorischen Schreibtisch im Gästehaus der Landesregierung aufgestellt. Der Grund: Gies hatte plötzlich, einige Monate nach Einzug der Staatskanzlei in ihre Räume im Magdeburger Fürstenpalais, Angst vor elektronischem Ungeziefer, vor Wanzen von KGB und Stasi. Ursache dieser Ängste: Die Interclub- GmbH. Das ist eine recht dubiose Firma, die noch immer in einigen Räumen der Staatskanzlei residiert. Gegründet wurde sie zur Wendezeit von der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, die zur Honecker-Ära die Rechtsträgerschaft für den heutigen Regierungssitz hatte. Was der Interclub ist, blieb im Dunkeln, offenbar selbst vor den eigenen Mitarbeitern.

„Seit wir mit der Staatskanzlei in dem Gebäude sind, versuchen wir jetzt, mit dem Interclub über die Räumung seiner Räume zu verhandelns“, erzählt Staatssekretär Karl Gerhold. „Aber jedesmal mußten sich die Mitarbeiter erst mal telefonisch Instruktionen von der Interclub-Zentrale in Berlin holen.“ Und diese Instruktionen hießen offenbar: Hinhalten. Denn der Interclub reagierte auf keine Räumungsaufforderung, ging auch nicht auf die Angebote von Ersatzmöglichkeiten in zentraler Lage ein.

Nach dem Rohwedder-Attentat forderte die Staatskanzlei beim Innenministerium ein geheimes Gutachten zur Sicherheit des Ministerpräsidenten an. Und das kam zu dem Schluß, daß die Sicherheit für Gies so lange nicht in vollem Umfang zu gewährleisten sei, solange auch der Interclub in der Staatskanzlei residiere. Kurzerhand packte Gies seine Koffer und zog als sein eigener Gast ins Gästehaus der Landesregierung. Unterdessen entwickelten Staatssekretär Gerhold und Regierungssprecher Michael Gentsch hinter den Kulissen fieberhafte Aktivitäten. Am vergangenen Freitag setzten sie dem Interclub eine letzte Räumungsfrist bis Montag mittag. Als die verstrich, ließen sie die Türen des Interclub gewaltsam öffnen und die Schlösser austauschen.

Der Frage nach den rechtlichen Grundlagen für diese Aktion weicht Karl Gerhold aus. „Es gab ja auch gar keine rechtliche Grundlage dafür, daß der Interclub überhaupt noch Räume in dem Gebäude genutzt hat.“ Das sah möglicherweise der Interclub selbst auch so. „Die einzige Reaktion der Interclub-Zentrale in Berlin auf unsere Räumungsfrist war die Bitte um Fristverlängerung“, erzählt Gerhold, der nach eigenem Bekunden zumindest eine einstweilige Verfügung erwartet hat.

Welchen Zweck der Interclub nun eigentlich hat, wurde auch nach gewaltsamem Öffnen der Räume nicht klar. „Gearbeitet wurde in den Räumen offenbar nicht“, sagt Gerhold, „in der Hauptsache fanden wir eine ganze Batterie leerer Schnapsflaschen“. Nutznießer der letzten zweifelhaften Aktion: Premier Gies, der nun sicher an seinem eigenen Schreibtisch arbeiten kann und Speaker Gentsch: „In den Räumen, die bislang noch der Interclub genutzt hat, bringen wir jetzt endlich das Presse- und Informationsamt der Landesregierung unter.“ Bis dahin müssen die Räume aber zunächst leergeräumt werden. Aber der Interclub hat bislang noch nicht wissen lassen, wohin er Müll und Möbel geliefert haben will. „Wir werden für den ganzen Kram wohl eine Lagerhalle anmieten müssen“, glaubt Gerhold. Eberhard Löblich