: „Schwierige Wegstrecke“
■ Helmut Kohl im Gespräch mit drei Edelzonis
Nach Gottesdienst und Krankenhaus besuchte Helmut Kohl im Rahmen seiner Frühjahrsoffensive am vergangenen Mittwoch abend ein Fernsehstudio. Das ZDF hatte es im „Palais Schaumburg“ eingerichtet, um dem innerdeutschen Ost-West-Konflikt wenigstens einen würdigen Rahmen zu verleihen. Kurt Masur, Friedrich Schorlemmer und Gunther Emmerlich hielten sich an die gediegene Formvorgabe und sprachen würdevoll vom Verlust der Würde und der ostdeutschen Verzweiflung, von Illusionen und (Ent-)Täuschungen, von verlorener Identität und der täglichen Bedrückung der Arbeitslosen.
Obwohl Moderator Joachim Jauer sich — im getragenen Tonfall des brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe — zum vierten Fürsprecher aller Sorgen und Nöte der „Ossis“ machte, gelang dem von Minute zu Minute souveräner werdenden Bundeskanzler ein glatter Sieg nach Punkten. Gegen das schlechte Konkrete setzte er das gute Allgemeine, gegen Chaos und Elend Vernunft und Aufklärung, gegen die dunkle Gegenwart eine lichte Zukunft, die spätestens in drei bis fünf Jahren beginnen werde: Helmut Kohl machte sich zum Fürsprecher eines überbordenden Geschichtsoptimismus, der den Ex-DDR-BürgerInnen längst ausgetrieben worden ist. Zugleich profilierte er sich als nüchterner Realpolitiker, der stets vor einer „schwierigen Wegstrecke“ warnt und nie vergißt, daß „das alles nicht über Nacht funktioniert“. „Am Ende der Werktage aber“, da hat er „überhaupt keinen Zweifel“, wird „der Feiertag stehen“. Die drei Edelzonis waren von Anfang an im Hintertreffen, weil die würdevolle Atmosphäre keinen wirklichen Raum für die Artikulation schmutziger Einzelheiten und würdeloser Schicksale konstituiert. Die Objektivität der Verhältnisse triumphierte über die Subjektivität der Erfahrung. Am Ende war Helmut Kohl derart in Fahrt geraten, daß er sogar noch während des musikuntermalten Abspanns weiterredete und der netten Männerrunde vorschlug, sich im kommenden Oktober doch noch einmal zu treffen. Reinhard Mohr
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