: Biege-schlaffe Teile flutschen aus des Roboters Hand
Experten sehen noch immer große Schwierigkeiten bei der automatischen Montage von Gummis/ Können japanische Zweiarmroboter helfen? ■ Aus Hannover Dietmar Bartz
Durcheinander liegen die Gummis in einer großen Stahlkiste. Hilflos kreist der Greifer eines Industrieroboters über dem Gewirr und zerrt an einem der Plastikteile. Das aber verheddert sich prompt. Die metallenen Backen öffnen sich wieder, und das Gummi fällt in die Kiste zurück. Die Videokamera, auf die stählerne Hand montiert, dreht sich suchend. Schließlich hat der Roboter es geschafft: Einer der grauschwarzen schlabbrigen Gegenstände ist aus dem Meer der Gummis herausgefischt. Doch getan ist die Arbeit damit nicht: Jetzt muß es gespannt werden. Aber nicht zu sehr: Sonst dehnt sich das Gummi zu stark und könnte undicht werden. Wenn es aber zu schwach gespannt ist, hängt es wegen seines Eigengewichtes durch und paßt nicht mehr auf den abzudichtenden Gegenstand. Immerhin, schon beim dritten Anlauf signalisiert das Erkennungssystem, daß das Gummi nun optimal positioniert ist...
Einen derartigen Montierversuch würde wohl keine der rund 270 Firmen vorführen, die derzeit auf der Hannover Messe Industrie die beiden Hallen 19 und 20 füllen. Unter dem Kürzel MHI, das für „Montage, Handhabung, Industrieroboter“ steht, zeigen die Firmen ihren Ausschnitt aus dem aktuellen Stand der Automatisierung von Produktionsprozessen. Es pfeift, zischt, klackt, tockt, ruckt und wirbelt in den beiden Hallen. Es heftet, schweißt, klebt, schraubt, steckt und stülpt auf der MHI. Im Idealfall wird hier alles eins: Aus vielen Teilen entsteht zuletzt ein neues Ganzes, das, durch die Bearbeitung mit MHI-Techniken, mehr wird als die Summe seiner Teile. Präsentiert wird hier, was und wie Roboter billiger produzieren können als Menschen.
Die Werkshalle menschenleer, alle Probleme mit dem fehleranfälligen Humanbiotop gelöst? Diesen Eindruck erweckte die Branche in den Jahren ihres stürmischen Aufschwungs gerne. Dem Machbarkeitswahn der 80er Jahre hätten sich die großen seriösen Firmen selbstverständlich versagt, sagt der Mitarbeiter einer großen seriösen Firma. Die Kunden sollen schließlich nicht nur zahlen, sondern auch wiederkommen für die nächste Etappe der Rationalisierung.
Dichtung und Wahrheit
Zwar ist die Automatisierung längst zum permanten Prozeß geworden, wie selbst ein Ignorant nach einem Rundgang in den Hallen 19 und 20 feststellen müßte. Dennoch aber verweigert sich beharrlich eine ganze Gruppe dem stählernen Griff: die biege-schlaffen Teile nämlich, so der Fachausdruck für Produkte von der Dichtung aus Synthesekautschuk bis zum Stromkabel. Zwei- bis dreimal so hoch seien die Kosten, wenn tatsächlich nur noch Sensoren und Roboter anstelle von Menschen für die äußerst stupide Arbeit eingesetzt würden, Schläuche auf Stutzen zu stecken, Dichtungen um Türränder zu kleben oder Kabel in Stecker zu schieben. Die sinnentleerte Arbeit kann von den Menschen gerade wegen ihrer Sinne noch immer am billigsten und besten erledigt werden.
Was also machen nun Automobilunternehmen als die traditionellen Vorreiter, aber auch Reifenfirmen, die Haushaltsgeräte-, Textil- und die elektrotechnische Industrie? „Es gibt auf diesem Sektor keine fertige Lösung“, sagt Stefan Dreyer klipp und klar. Für den Vertriebsingenieur der ABB Roboter GmbH aus dem hessischen Friedberg geht es schon bei den Zulieferern los, und dem stimmt auch Rainer Bastert zu, Robotsystemingenieur bei den Fabrikautomatisierern der Sony Europa GmbH im schwäbischen Fellbach. Denn die Zulieferer haben mit Blick auf die Preise der Konkurrenz kein sonderliches Interesse daran, die Anlieferungen robotergerecht zu machen: Der Platzbedarf würde rapide zunehmen und damit ihre Transport- und Lagerhaltungskosten verteuern.
Selbst wenn die Anlieferung maschinell handhabbar wäre, das nächste Problem stünde im wahrsten Sinne des Wortes vor der Tür: „Montagsmorgens im Winter kommen die Paletten mit einer Innentemperatur von minus zehn Gard vom Hof in die Halle, und im Sommer knallt die Sonne drauf“, weiß Gernot Fischer vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart. Dadurch verändert sich die Bearbeitungsfähigkeit erheblich.
Dann gerät die Fixierung eines biegeschlaffen Teils zur nächsten Großschwierigkeit: dem Versuch nämlich, es überhaupt ausfindig zu machen und in die Roboterhand zu bekommen. Bei Sony heißt es im Hinblick auf die Montage vergleichsweise kurzer Kabel: Nicht mehr aus der Hand lassen, was einmal erfaßt ist. Davon mag man in einem anderen, gleichfalls schwäbischen Unternehmen in Bezug auf Fahrzeugkabelbäume gar nichts wissen: „Wenn die gespannt blieben, müßten sie auf Riesenpaletten durch die Hallen geschoben werden. Davon würde die ganze Fertigung beeinflußt“, stöhnt ein Ingenieur.
Bei ABB wiederum ist die ideale Lösung auch noch nicht gefunden: Im Auftrag eines Autokonzerns sollte das Paradebeispiel Türdichtung neu angegangen werden. Angekommen sind die ABB-Fachleute wieder bei einer Mensch-Maschine- Kombination: Ein Mensch legt die Dichtlippe in einen Rahmen ein, derweil der Robot den Kleber aufträgt. Dann legt er (der Robot) die Klebepistole weg, holt sich den Rahmen, drückt die Dichtung auf und zieht den Rahmen wieder ab. Derweil legt der Mensch die nächste Dichtlippe in den Rahmen ein.
Profile spannen können soll immerhin der DRX-3 DH, ein Zweiarmroboter, den Sony bislang nur intern für die eigene Automatisierung eingesetzt hat. Doch ein Fachmann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte und das Modell kennt, hält davon überhaupt nichts: Das gute Stück sei einfach aus zwei Robotern zusammenmontiert werden; die beiden Arme ließen sich noch nicht gemeinsam steuern.
Und auch bei der Sensortechnik hapert es an allen Ecken und Enden. Zwar hat es in den letzten vier Jahren einen erstaunlichen Preisverfall gegeben. Doch die Frage ist, was brauchbar ist. Fehlerquoten von 60 Prozent bei der Erkennung von Konturen sind keine Seltenheit, und dies in der Kopplung mit Industrierobotern, die zu über 99 Prozent ausfallsicher ist.
Überrascht hat etwa der Leiter der Projektierung beim Großhersteller Kuka, Bernd Liebehenschel, zur Kenntnis nehmen müssen, daß ein Visionsystem, mit dessen Hilfe Fensterscheiben auf Lkw-Fahrerkabinen geklebt werden sollten, nicht dazu in der Lage war, Anfang und Ende von schwarzgestrichenem Metall zu identifizieren. Gearbeitet wird jetzt an Simulationsmodellen, um mit weniger Vision auskommen zu können. 1988 hatten sie eine Konfiguration ausgestellt, die den Wasserschlauch über den Flansch am Stutzen eines Autokühlers schieben konnte — Menschen haben bei einer solchen Arbeit nach zwei Jahren kaputte Handgelenke.
Zwar kam das alles zu teuer, und eine Reihe technischer Kniffeleien bliebe ebenfalls noch zu lösen. Aber daraus entstand in der Zwischenzeit, wie es im wunderschönen Techniker-Deutsch heißt, eine „Fügetheorie rotationssymmetrischer Hohlzylinder“. Die wiederum wurde zum Ausgangspunkt für die weiteren Simulationsversuche. Doch immerhin: „Das Verhalten des Schlauchs haben wir“, sagt IPA-Ingenieur Fischer stolz. Ein anderer Standmann jedoch wiegt vorsichtig den Kopf: „Wir haben noch nicht alle Gummiparameter herausgefunden.“
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