: Spukender Runder Tisch
■ Über den Versuch, ein Möbelstück zu aktivieren
Spukender Runder Tisch Über den Versuch, ein Möbelstück zu aktivieren
Seit geraumer Zeit gibt es in Bonn eine besondere Art von Tischerücken — ein Rücken am runden Tisch. Klopfgeister rühren sich und tönen aus dem imaginären Möbelstück. SPD-Fraktionschef Vogel fordert in unregelmäßiger Reihenfolge den runden Tisch; der sächsische Ministerpräsident Biedenkopf denkt über das Möbelstück „verstärkt“ nach und der Ex-Kanzlerkandidat Lafontaine ist immerhin soweit alarmiert, daß er gegen das Tischerücken öffentlich polemisiert. Die Forderung nach dem runden Tisch ist sympathisch. Insbesondere die Bürgerrechtler und Abgeordneten aus der Ex-DDR unterstützen die Idee, erinnert sie doch an den kurzen Frühling im Herbst 1989. Schließlich ist der runde Tisch noch der einzig intakte Traditionsgegenstand aus jener demokratischen Revolution. Diese Forderung erscheint auch plausibel, weil sie eine anfaßbare Idee vermittelt, wie eine Situation zu lösen ist, an der offenkundig die traditionellen Mittel der Politik versagen. Die ganze Tonart vom „nationalen Notstand“ (Ulf Fink), von einer Katastrophe schlimmer „als in der Weltwirtschaftskrise 1929“ (Biedenkopf, Steinkühler, Stolpe) legt eine Vereinigung aller politischen Kräfte am runden Tisch nahe.
Aber der runde Tisch ist keine Einrichtung für jedermanns Gebrauch. Er wurde 1987 in Polen erfunden, um die Machtfrage zu stornieren, auf die sich die politischen und sozialen Kräfte zubewegten. Es galt den Bürgerkrieg zu vermeiden. Der runde Tisch brachte die aktuelle Macht in ihrer Ohnmacht und die institutionelle Ohnmacht, die sozial übermächtig geworden war, zusammen. Er war nicht nur ein neues Instrument der Demokratie, sondern eine Institutionalisierung eines öffentlichen Demokratisierungsprozesses. Der demokratische Gedanke war, daß dieses Möbelstück, weil es eben rund ist, keinerlei Oben oder Unten, kein Rechts oder Links und auch kein feindliches Gegenüber erlaubt. Es ist sicher eine Überlegung wert, ob ein solcher Demokratiebegriff nicht auch im parlamentarischen System Sinn machen kann. Aber: Wozu der runde Tisch auf jeden Fall nicht taugt, ist der Versuch, politische Gegensätze zu verschleiern und politisches Versagen mit Schulterschluß zu verdecken.
Wenn sich jetzt in Bonn Regierung und Opposition mit dem Hinweis auf die wirtschaftliche Katastrophe am runden Tisch einfinden würden, hieße das schlicht, die politische Verantwortlichkeit undurchsichtig zu machen. Gerade die Massenarbeitslosigkeit und der anhängende Konflikt zwischen Sanierung oder Privatisierung verlangt die öffentliche Auseinandersetzung und die deutliche Trennung in der politischen Verantwortung von Regierung und Opposition. Ein runder Tisch wäre eine erschlichene große Koalition (die noch schlimmer wäre als diese selbst), ein Westwall der Bonner politischen Klasse gegen den Osten. Gleichwohl ist es denkbar, daß die Existenzbedrohung der Massen im Osten soziale Unruhen auslösen, die dieses Möbelstück nötig machen könnten. Aber dann geht es nicht darum, daß die Bonner politischen Parteien, die Gewerkschaften und Unternehmerverbände mit ihren östlichen Anhängseln zusammensitzen. Dann würden West und Ost gegenübersitzen und zwar besser an einem langen rechteckigen Verhandlungstisch — bei Nachverhandlungen zum Einigungsvertrag. Klaus Hartung
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