: Enklaven im Nordirak bleiben umstritten
Fitzwater: Vorschlag der Schutzzonen wirft Probleme auf/ Auch UN-Hochkommissarin rückt von der Idee ab/Planen USA Schutzzonen für alle Flüchtlinge an Grenze zu Kuwait?/ Kurden dementieren Berichte über Einstellung irakischer Angriffe ■ Aus Genf Andreas Zumach
Der Vorschlag zur Einrichtung von Schutzzonen für die verfolgten Kurden im Irak war auch gestern weiterhin umstritten. Nach Darstellung der US-Regierung hat der Irak seine Boden- und Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung im Norden des Landes eingestellt. Die Regierung in Ankara dementiert Berichte, wonach türkische Armee-Einheiten zeitweise auf irakisches Territorium vorgedrungen seien.
US-Präsident Bush und der britische Premierminister Mayor führten ein 20minütiges Telefonat über den Schutzzonen-Vorschlag. Über das Gepräch wurden gestern unterschiedliche Versionen verbreitet. Die französische Nachrichtenagentur 'afp‘ meldete, die beiden Politiker hätten sich auf den Schutzzonen- Vorschlag geeinigt. Nach Angaben der britischen Nachrichtenagentur 'Reuter‘ erklärte jedoch der Sprecher des Präsidenten, Fitzwater, Bush und Mayor hätten „noch keinen Konsens oder eine Vereinbarung erreicht“, wie der Schutz der Kurden zu gewährleisten sei. Der Vorschlag einer Schutzzone werfe nach wie vor „eine Reihe von Problemen auf“, erklärte Fitzwater. In Gesprächen mit Bush hielten EG-Ratspräsident Santer und Kommissionspräsident Delors gestern, ebenso wie am Mittwoch gegenüber UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar, an dem Schutzzonen-Vorschlag fest, den die Gemeinschaft auf ihrem Gipfeltreffen am Dienstag in Luxemburg vereinbart hatte. Am UNO-Sitz in New York wurden erneut Befürchtungen geäußert, eine Verwirklichung des Vorschlages könne die Souveränität Iraks beeinträchtigen und zu neuen Kampfhandlungen in der Golfregion führen.
Die UNO-Flüchtlingshochkommissarin Ogata rückte auf einer Pressekonferenz in Genf von ihrer am Vortag bei Gesprächen mit der Schweizer Regierung in Bern geäußerten Unterstützung für Schutzzonen zumindest für die unmittelbar bedrohten Flüchtlinge ab. Sie erklärte gestern lediglich, sie werde alle Lösungen unterstützen, die ein Überleben der Flüchtlinge sicherstellten.
Aus Äußerungen des in Genf weilenden stellvertretenden US-Außenministers Bulton, der für die internationalen Organisationen zuständig ist, gewannen BeobachterInnen und Journalisten den Eindruck, die USA hätten den Plan von Schutzzonen im Norden Iraks bereits endgültig abgeschrieben und zielten darauf ab, sämtliche Flüchtlinge in der künftigen 15 Kilometer breiten Pufferzone zwischen Irak und Kuwait anzusiedeln. Diese 3.600 Quadaratkilometer große Zone wird mit Beginn des formell erneut verschobenen Waffenstillstandes eingerichtet.
Die Einstellung der Angriffe der irakischen Armee auf die Kurden im Norden des Landes erfolgte nach Darstellung der US-Regierung, nachdem Washington am Wochenende mit der Wiederaufnahme der Luftangriffe auf irakisches Militär gedroht hatte. Ziel dieser Drohung sei es gewesen, den Kurden im Nordirak einen sicheren Zufluchtsort zu schaffen, hieß es in Washington. Aus dem Verteidigungsministerium verlautetete, die irakischen Streitkräfte hätten bereits seit Sonntag keine Angriffe mehr mit Kampfflugzeugen oder Hubschraubern auf flüchtende Kurden geflogen.
Diesen Angaben aus Washington widersprachen gestern kurdische Widerstandsgruppen in Damaskus. Danach hätten Saddam Husseins Truppen gestern ihre Angriffe auf Kurden im Nordirak wieder aufgenommen. Dabei würden Kampfhubschrauber, Panzer und schwere Artillerie eingesetzt. Nach diesen Angaben fanden die erneuten Angriffe in der Nähe der Städte Irbil sowie Sulaimanija statt. Das „Leben Hunderttausender Flüchtlinge in der Nähe der Grenze zum Iran“ sei bedroht, erklärte ein Sprecher der Kurdistanfront.
Die türkische Regierung dementierte gestern Berichte, wonach Armee-Einheiten des Landes im Rahmen einer Militäroperation auf irakisches Gebiet vorgedrungen sein sollen, um jenseits der Grenze für Ordnung unter den Flüchtlingen zu sorgen. Der Sprecher des Außenministeriums in Ankara erklärte, entlang der Grenze hätten sich lediglich „hin und wieder“ einzelne Soldaten etwa einen Kilometer weit auf irakisches Territorium begeben, um Hilfsgüter zu übergeben. Im Kampf um Nahrungsmittel käme es jedoch zu schweren Tumulten unter den Flüchtlingen, so daß die Soldaten dann als Ordnungshüter fungieren müßten. Von einer Militäroperation könne keine Rede sein.
Welajati für Schiiten-Schutzzonen
Teheran (afp) — Der iranische Außenminister Ali Akbar Welajati hat sich dafür ausgesprochen, Schutzzonen nicht nur für Kurden im Nordirak, sondern auch für Schiiten im Südirak einzurichten. Der Irak solle als unabhängiger Staat fortbestehen, sagte der Minister in einem Interview mit dem britischen Fernsehen BBC, dessen Text Radio Teheran gestern ausstrahlte. Die Zahl der während des Golfkrieges im Iran gelandeten irakischen Flugzeuge gab Welajati mit 22 an. Falls die Vereinten Nationen Teheran dazu aufforderten, werde der Irak die Flugzeuge zurückerhalten.
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