Wie bösartige Raubtiere im Käfig

■ Fußball-Fans rufen anläßlich des heutigen Spieltags zu bundesweiten Protestaktionen gegen das neue DFB-Sicherheitskonzept für Stadien auf: Zerstörung der Fankultur

Berlin (taz) — Der heutige Fußball- Bundesliga-Spieltag wird zum Protesttag der Ballbegeisterten. Frankfurter Fans haben alle Gleichgesinnten zu bundesweiten Aktionen aufgerufen: Blöcke sollen geräumt und Transparente ausgelegt werden. Grund der Aufregung: das Konzept des Deutschen Fußballbundes (DFB) zur Sicherheit in Stadien.

Der Hauptzorn richtet sich auf den für die Saison 1993/94 geplanten Umbau der Stadien in reine Sitzplatzarenen mit nummerierten Platzkarten. „Da geht die Stimmung völlig flöten und zudem sind die Plätze erheblich teurer“, klagen die Fans. DFB-Chef Neuberger, ohnehin kein Freund der „Kutten“ (Bezeichnung für mit „Emblemen bepflasterte Fan- Jacken“), schert das wenig: „Auf teilweise unflätige Sprechchöre verzichten wir sehr gerne. Wenn die nicht mehr da sind, kommen auch wieder echte, wirkliche Fans zum Fußball. Auch Familien, die von dieser sogenannten Stimmung abgeschreckt werden.“

„Dieser Weg ist der falsche!“ monieren die Mitarbeiter des Frankfurter Fanprojekts. „Es ist nicht einzusehen, daß friedliche Fans unter den Taten der Hooligans außerhalb der Stadien leiden müssen. Durch die baulichen Maßnahmen und massiven Einschränkungen wird keine Randale verhindert, sondern die Atmospäre bewußt zerstört.“ Tatsächlich wirkt das neue Konzept wie ein Maßnahmenkatalog zur Vernichtung der ungeliebten Fankultur. Ab der Saison 1992/93 dürfen nur noch 70 Prozent der billigen Stehplatzkarte verkauft werden. Die Fanblöcke werden zu Käfigen umgewandelt. Plexiglaswände und Gitter — in England nach der Katastrophe von Sheffield, wo fast einhundert Menschen erdrückt wurden, allesamt niedergerissen — sollen die Bewegungsfreiheit der Fans einschränken. Eine zentrale Hooligan-Datei wird den schnellen Informationsfluß gewährleisten. Big Brother im Stadion?

Auch Vergehen außerhalb der Arena werden selbstverständlich mit Stadionverbot geahndet. Und falls ein Fan einem Ordner komisch vorkommt, kann er willkürlich und ohne Rücksicht auf die Platzkarte in einen völlig anderen Block geführt werden. Auf Sockeln plazierte Ordner kontrollieren die Zuschauer, Videos zeichnen jede Bewegung auf. Hinzu gesellt sich ein generelles Alkoholverbot. „So werden die treuen Fans bestraft, die in schlechten Zeiten zum Verein halten. Statt einer Belohnung werden sie eingesperrt. Damit kann man keine Frustration und Aggression verhindern“, jammern die Frankfurter Fans. Sie würden völlig isoliert, hätten weder Kontakt zur Mannschaft noch zu befreundeten Fans. Ihr Gegenargument: Die Randale findet in den seltensten Fällen im Stadion statt.

Auch Helmut Heitmann, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Fanprojekte und Mitarbeiter des Fanprojekts der Berliner Sportjugend, hält das DFB-Konzept für einen Schuß in den Ofen. Nicht nur, daß sich viele kleine Zweitliga-Vereine den aufwendigen Umbau gar nicht leisten können. „Es ist unklug, das Problem vor die Stadien zu verlagern. Dort ist eine vernünftige Kontrolle nicht möglich.“ Zudem hält er die Trennung zwischen guten und bösen Fußballfans für fatal. „Damit bringt man sie nur in Zugzwang, zu handeln. In Wirklichkeit sind die Grenzen fließend. In einer gewalttätigen Situation wird man schon mal gewalttätig.“

Als Fürsprecher der Fans wehrt er sich vehement dagegen, eine Jugendkultur pauschal zu verurteilen. „Das sind nicht die Bösewichte der Republik, zu denen sie jetzt gemacht werden. Schuld an der gereizten Situation im Land sind wahrlich andere.“

Den Vorwurf, die Fanprojekte kämen mit dem harten Hooligan-Kern gar nicht in Kontakt, weist er zurück. „Auch für die sind wir mehr als alle anderen die Ansprechpartner. Sie kontaktieren uns oft und suchen Rechtsbeistand.“

Die straff organisierten Gruppen hält Heitmann im übrigen für weniger gefährlich als die zunehmende Zahl junger Einzelkids, die zur Randale erscheinen. „Die Gruppen- Hooligans folgen Werten wie Ehre, dem waffenlosem Mann-gegen- Mann-Kampf und dem Heraushalten Unbeteiligter. Die jungen Kids hingegen bekommen Angst und werden unberechenbar.“ Auch das Klischee der Rechtsradikalität kann er nicht bestätigen: „Die Rechtsextremisten um Michael Kühnen haben versucht, Fans zu rekrutieren, hatten aber kaum Erfolg. Fans richten sich gegen alles, was anders ist, die politische Motivation ist gering.“

„Der momentane Haß auf die Fans ist angesichts der Geschehnisse zwar verständlich, aber er wird zu sehr dramatisiert“, wiegelt Heitmann ab. „Schau nur mal einen Sonderzug der 'Nato-Ralley‘ an (gemeint ist die Wochenend-Heimreise der Bundeswehrsoldaten). Da geht's ähnlich heftig zu, aber keiner spricht darüber.“ Michaela Schießl