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Schatten an der Wand

■ Adriana Altaras mit »Jonteff« im Theater zum Westlichen Stadthirschen

Am Anfang steht ein Alphabet: A wie »Adriana Altaras, von und mit«, A wie Adolf Hitler. Die jugoslawisch-italienisch-deutsche Jüdin Altaras buchstabiert ihr Judentum von Auschwitz, Deutschland, Shoah bis Zion und Zyklon B. Hervorhebungen im Gelb des Davidssterns; Namen, die Emotionen provozieren. Daß Adriana Altaras diese Namen mit jüdischen Witzen und philosophischen Zitaten würzt, ändert nichts am Entsetzen, das diese Liste hervorruft. Das gleiche gilt für das Stück.

Jonteff ist ein Festtag, und Adriana Altaras feiert »einen Festtag mit einem Dibbuk«. Ein Dibbuk, erklärt das Programmheft, ist nach der jüdischen Überlieferung »der Geist eines Toten, der keinen Frieden findet und in einen Lebenden fährt. Was aber tun die Geister ruheloser Lebender, deren Geschichte sie nicht in Frieden läßt? Sie suchen die Nachkommen heim.«

Adriana Altaras hat viele Dibbuks in der Familie. Sie hat Interviews mit Verwandten gemacht, besonders mit ihren Eltern, die Überlebende der Shoah sind. Aus Fetzen dieser Gespräche hat sie ihren Jonteff gebaut. In einem weiten, weißen Festkleid tritt sie vor die Zuschauer und schlüpft in die Rollen ihrer Vorfahren, ahmt perfekt den Tonfall alter Tanten nach, setzt deren wissendes Lächeln auf und gestikuliert in der Art von Erzählenden, die sich ihres Publikums versichern. Altaras Bewegungen drehen sich um eine weiße Wand, an der ihr Schatten sie weit überragt, und einige schwarze, flache Stühle am Rand — ein passend karger Hintergrund für ihr leidenschaftliches, facettenreiches Spiel. Sie scheut sich nicht, alles zu geben, springt unerschrocken, zwischen Schrecken und Lächerlichkeit hin und her.

Es geht nicht nur um die Shoah. Im ersten Teil des Stücks greift Altaras Klischees über »die Juden« auf und präsentiert sie mit beißender Ironie. »Wir Juden sind alle soooo begabt... Werden alle Juden klug geboren? Nein, die Dummen lassen wir vorher taufen.« Maliziös ahmt sie die verklemmt-betroffene Frage einer Mitreisenden im Flugzeug nach: »Sind Sie... sind Sie jüdisch?« (Altaras Antwort: »Nein, ich sehe nur so schlecht aus« ist reine Koketterie.)

In der zweiten Hälfte von Jonteff aber bleibt das Lachen im Hals stecken. Altaras spielt italienische Bandaufnahmen ein, auf denen ihre Mutter über die Lagerzeit berichtet. Das Kind fragt: »Stimmt's, aus Auschwitz kommt man nicht wieder raus?« Und später rennt Altaras als Mutter panisch über die Bühne: »Die Nachrichten! Wir haben keine Nachrichten gehört!«, um sich gleich darauf in Adriana, das Kind zu verwandeln: »Geht uns eigentlich immer alles was an?«

Vielleicht ist diese Frage die wichtigste Frage dieses Stücks, das nah geht bis zur Unerträglichkeit. Man möchte wegsehen, fliehen, die bewußte Hysterie Altaras wird zuviel. Ich fühle mich an den israelischen Dokumentarfilm Wegen dieses Krieges erinnert, der die Schwierigkeiten von Kindern Überlebender zeigt, ohne schreckliche Schuldgefühle unabhängig zu werden. »Das Private ist politisch« — eine grausame Lebenswirklichkeit.

Dieses sehr persönliche Stück weckt sehr persönliche Assoziationen. Fast alle »Nachgeborenen« in Deutschland, die Juden und Jüdinnen der zweiten und dritten Generation nach der Shoah, kennen die schwierige, zähe Auseinandersetzung mit ihr. Wir hören von unseren Eltern wieder und wieder die Geschichten des Schreckens und fragen uns, wo wir selbst dabei bleiben. Wir versuchen, einen neuen Zugang zu unserer Kultur und Geschichte zu finden, und wir ärgern uns über unsere Eltern, die uns ständig über unsere Feinde und Verfolger aufklärten anstatt über uns. Aber dieser Ärger fällt uns, der dritten Generation, leichter — in unseren Familien wurde kein engerer Verwandter verfolgt oder ermordet. Und vielleicht ist unser Alphabet weniger von der Shoah geprägt. Wer sich ihren Schatten aussetzen und eine starke, mutige Frau sehen will, die sich und ihre Zuschauer schonungslos mit ihrer Geschichte konfrontiert, kommt an Jonteff nicht vorbei. Ayala Goldmann

Jonteff bis 12. Mai jeweils Fr. bis So. 20.30 Uhr im Theater zum Westlichen Stadthirschen

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