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Das ins Leben entlassene Bild

■ Der konstruktivistische Maler und Typograph Walter Dexel im Bauhaus-Archiv

Die Retrospektive Walter Dexel— Bild. Zeichen. Raum, die das Bauhaus-Archiv zum 100. Geburtstag des konstruktivistischen Malers und Typographen mit Gemälden, Zeichnungen und Plakaten ausstellt, verführt zu einem Ritt durch die Kunstgeschichte der frühen Moderne. Da glaubt man zunächst, im Bauhaus-Archiv hingen ein Cezanne, zwei Blaue Reiter und ein bißchen Paul Klee. Theo van Doesburgs blau-rot-gelbe Flächen folgen. Die komplexe Organisation von Linien und Feldern lebt dann fort in der angewandten Kunst. Klare, scharfe Reklametafeln und Richtungsschilder kommen. STOP! ruft der rote Punkt. HALTESTELLE! meint das »H«, als kämen sie direkt aus dem Bauhaus.

Es scheint, als wäre Walter Dexel (1890-1973) in seiner künstlerischen Entwicklung für kurze Zeit gänzlich den Vorbildern der abstrakten Malerei und dem Bauhausstil erlegen. Wie die Avantgardisten beschränkt Dexel sich auf ein paar modifizierte geometrische Grundformen und wenige Farben. Rot, Blau und Ocker, Schwarz und Weiß füllen die Rechtecke und Quadrate. Die Bilder haben strenge orthogonale Formen, als wären sie aus dem Programm des »de Stijl« entsprungen und darüber hinaus ein Manifest für eine universelle künstlerische Sprache aus Linien, Farben und Flächen. Entsprechend die Titel: Mit der gelben Senkrechten in der Mitte (1923) Mit drei Quadraten (1925) oder Helle Scheibe und rotes Kreuz (1926). Die Spuren des individuellen Malens sind getilgt zugunsten eines Purismus wie aus dem kunstgeschichtlichen Lehrbuch.

Dexels studierte bei Heinrich Wölfflin und Fritz Burger in München Kunstgeschichte. Seine Studienreisen nach Frankreich glichen Crash-Kursen in zeitgenössischer Kunst. Von 1916 bis 1928 war Dexel in Jena Ausstellungsleiter des örtlichen Kunstvereins, wobei er die kleine Universitätsstadt zu einem Treffpunkt der künstlerischen Avantgarde machen konnte. In Jena stellte Dexel »Sturm«-Graphiken und »Brücke«-Bilder aus, lud Walter Gropius, Oskar Schlemmer und Paul Klee zu Vorträgen ein, veranstaltete Diskussionen über moderne Architektur und russischen Konstruktivismus und wilde Dada-Abende mit Kurt Schwitters, die ihm regelmäßig den Zorn des konservativen Vereinsvorstandes einbrachten. Ende der zwanziger Jahre übersiedelte Dexel als Lehrbeauftragter für Kunstgeschichte nach Magdeburg und Berlin, nach dem Zweiten Weltkrieg nach Braunschweig, wo er als Hochschullehrer, Kunsttheoretiker und Sammler von Gebrauchskunst bis 1973 tätig war.

In Jena entstand Dexels eigenständiges Oeuvre, dessen Bedeutung in der radikalen Sprengung der Grenzen zwischen sogenannter freier und angewandter Kunst liegt. Auch tritt das Epigonale aus den Bildern zurück. Die Bildarchitektur erfährt eine individuelle Syntax der Balance. Dexel unterteilt die Bildflächen durch Farbe und Form in ein ausgewogenes Nebeneinander aus Anlehnung und Abstoßung. Die horizontalen und vertikalen Formen scheinen regelrecht berechnet auf Schwere und Dichte, Leichtigkeit und Transparenz und bilden so gleichgewichtige Strukturen. Gleichzeitig kommen zu den geometrischen Balken- und Rechteckbildern Kreise, Diagonalen und bauchige Kurven, mit denen Dexel die Dynamik auf der Fläche ausprobiert und die abstrakten Formen in einem gefährlich schwebenden Zustand hält. So glaubt man beispielsweise die Kurve in Das schräge U (1928) nur an einem seidenen roten Faden hängen zu sehen, während das rechtwinklige Knie im Bild Mit blauem Haken (1930) auf der schiefen Ebene bereits abzurutschen droht. Eine dramatische Spannung auf der Fläche entsteht. Dexels »S«- und »Scheibenbilder« aus den Jahren 1925 bis 1929 dagegen sind spielerische Figurationen, die keine Wertigkeit, keinen Schwerpunkt auf der Fläche mehr erkennen lassen. Höchstens überrascht er noch mit »Ausrufezeichen«, wie etwa in Zwei helle Scheiben (1929). Dort rasen zwei Lichtpunkte aus dem Nachtschwarz heran. Oder verschwinden sie?

Gerade hier verknüpfen sich Dexels malerische Arbeiten mit seinen funktionellen Gestaltungen, die am Ende der zwanziger Jahre sein künstlerisches Hauptbetätigungsfeld waren. Auf den Plakat- und Reklamewänden, Briefköpfen oder Verlagsprospekten bilden die eben noch abstrakten Proportionen den Untergrund für die typographischen Zeichen. Dexel entläßt das Bild aus seinem Rahmen in die Wirklichkeit. Anschaulich — fast ein wenig zu pädagogisch — zeigt die Ausstellung, daß beispielsweise die Kompositionen Das harte P-Bild (1925) oder 1927 II exakt als Gestaltungsvorlagen für den Persil bleibt Persil-Entwurf von 1927 und für das Maifeier-Plakat aus dem selben Jahr dienten. Lediglich die Schriften sind zu den einst so »freien« bunten Flächen, Linien und Balken hinzugekommen, die Dexel auf plastische Arbeiten, auf Lichtreklamen und sogar auf Bühnendekorationen übertrug

Die spielerische Leichtigkeit seiner späten Gemälde fehlt völlig im gestalterischen Oeuvre. Ende der zwanziger Jahre propagierte Dexel rigide Visionen von »Reklameordnungen«, indem er etwa ein einheitliches, sachliches, funktionales Zeichen-Reglement für ganze Straßenzüge forderte. Alle Schilder und Werbetafeln sollten »sachlich, knapp und klar« an den Hauswänden hängen. Die Abstände und Größen der Zeichen sollten gleich sein. Nur Großbuchstaben waren erlaubt. Dexels angewandte Kunstvorstellungen entsprachen einer fast dogmatischen Programmatik der Zweckmäßigkeit. rola

Bis 2. Juni im Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstraße

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