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Heftiger Kulturschock

■ „Das hätte es in 'Martins Bierstuben‘ früher nicht gegeben!“

Der bärtige Gast in Schwerins erstem griechischem Restaurant versteht die Welt nicht mehr. Offensichtlich helfen ihm dabei auch die diversen Biere nicht, die er sich — auf den Schreck — schon hinter die Binde gegossen hat. Was hat ihn so aus der Fassung gebracht? Das griechische Essen kann es nicht sein, denn er verzehrt seinen Bauernsalat mit großem Appetit. Aber was dann? Ganz einfach: es sind die Frauen. Besser gesagt: eine Frau. Genauer gesagt: ich.

„Was du gemacht hast, Mädchen“, sagt der verstörte Gast und spießt mit seiner Gabel ein Stückchen Schafskäse auf, während er mich mit einer Mischung aus Faszination und Widerwillen mustert, „was du gemacht hast, ist nicht bloß frech — das ist dreist!“ Welche Dreistigkeit ich begangen habe, die den bärtigen Mittdreißiger am Nebentisch so quält?

Ich war in „Martins Bierstuben“. Eine ganze Stunde lang habe ich mich dort aufgehalten, ein Schweriner Schloßpils getrunken, die 'Mecklenburger Morgenpost‘ gelesen und eine Ochsenschwanzsuppe gelöffelt. Das war's.

„Eine Frau in Martins Bierstuben! Und auch noch alleine! Da hätte es früher Mord und Totschlag gegeben!“ Aber die Zeiten ändern sich, und so gab es nur ungläubige Blicke aus Männeraugen, die mich anstarrten, als sei ich ein Alien, der sich erdreistet, mitten in ihrer Stammkneipe zu landen. Die einzige Frau, die ein Recht darauf hat, sich dort aufzuhalten, ist die Wirtin. Eine resolute, stämmige Frau, die sich nicht scheut, besoffene Nervbolde einfach rauszuschmeißen. Vor ihr hat Mann Respekt, sie ist wie eine Mama, die ungezogenen Jungs auch mal den Hosenboden versohlen darf, wenn's sein muß. Aber eine ganz normale Frau, die alleine in die Kneipe geht, um Bier zu trinken und Zeitung zu lesen?

Der Mann, der mich in 'Martins Bierstuben‘ bei diesem Frevel beobachtet hat und mir nun, schicksalhafte Fügung, beim Griechen wiederbegegnet, fühlt sich in seinem Weltbild auf's heftigste erschüttert. Auf meine freundliche Frage, weshalb es den Männern denn eigentlich so peinlich sei, ihr Feierabend-Bier in Gegenwart des anderen Geschlechts zu schlürfen, weiß er denn auch nur mit einem ungehaltenen Brummen zu antworten. Fazit: Der Untergang des realen Sozialismus war ein Klacks, gemessen an dem, was den (ost-)deutschen Männern noch bevorsteht — der Abschaffung der Planwirtschaft in den Betrieben folgt jetzt die Abschaffung der Männerwirtschaft in den Kneipen. Biertrinkerinnen aller Bundesländer, vereinigt euch! Katrin Krollpfeiffer

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