Drei Brüder und ein Schuß

■ Freispruch für Sinti / Bruder bezichtigte sich / Schlampige Gegenüberstellung

Gründlich am Ende ihres Lateins war gestern die Zweite Große Strafkammer des Bremer Landgerichts. In seltener Einigkeit sprachen sich der Staatsanwalt, die Rechtsanwälte des Nebenklägers und des Angeklagten und auch das Gericht dafür aus, den des versuchten Totschlags beschuldigten Sinti Adelbert U. wegen Mangels an Beweisen freizusprechen. Adelbert U. (22) sollte nach einem Streit den 24jährigen Türken Senol K. mit einem Kleinkalibergewehr angeschossen und dabei lebensgefährlich verletzt haben.

Die folgenschwere Auseinandersetzung begann schon am Nachmittag des 25. März 1990: In Gröpelingen pöbelten Adelbert U. und einer seiner Brüder aus ihrem Auto heraus zwei Türken an. Am Abend kam es daraufhin in einer Spielhalle an der Gröpelinger Heerstraße zu einer Prügelei, an der die Streithähne wiederum beteiligt waren. Nachdem Adelbert U. und seine Brüder das Weite gesucht hatten, kehrten sie einige Zeit später in ihrem Daimler und mit einem Kleinkalibergewehr zurück. Der Wagen stoppte an der dem Spielsalon gegenüberliegenden Bushaltestelle, einer der Sinti stieg aus dem Wagen aus, legte das Gewehr auf dem Wagendach an und schoß. Lebensgefährlich in den Unterleib getroffen, sackte Senol K. zusammen.

Der Prozeß förderte auch eine Ermittlungs-Schlamperei der Polizei zutage. Bei der Gegenüberstellung zur Identifizierung des Schützen konfrontierte die Polizei die Zeugen mit acht Personen. In einer Reihe aufgestellt wurden der Angeklagte, seine beiden Brüder — allesamt mit südländischen Gesichtszügen — und fünf blonde Kriminalpolizisten in Zivil. Rechtsanwalt Wilfried Behrendt monierte im Prozeß, daß die Polizei es den Zeugen damit sehr leicht gemacht habe, seinen Mandanten Adelbert U. als Schützen zu identifizieren. Auch für Richter und Staatsanwalt war die mißglückte Gegenüberstellung ein wichtiger Grund für den Freispruch. Adelbert U. hatte stets bestritten, geschossen zu haben.

Auch wegen der widersprüchlichen Aussagen der Beteiligten konnte der Schütze vom Gericht nicht dingfest gemacht werden. Während sein Bruder Adelbert in Untersuchungshaft saß, gestand sein Bruder Daniel U. (18) letztes Jahr plötzlich vor dem Jugendrichter, daß er selbst den Schuß abgegeben habe.

Im Gegensatz zu ihren Aussagen bei der Gegenüberstellung identifizierten gestern auch einige Bekannte des angeschossenen Senol K. Daniel und nicht mehr Adelbert U. als Schützen.

Der Richter am Landgericht Rainer Lang hielt das Geständnis von Daniel U. für nicht besonders glaubwürdig. Und den Wechsel in den Aussagen der ZeugInnen konnte er „nicht nachvollziehen“. Trotzdem sprach er den Angeklagten frei, „weil die weitere Aufklärung nicht möglich“ sei.

In ihrer Ermittlungsschrift spekulierte die Staatsanwaltschaft über einen möglichen Grund, warum Adelberts jüngerer Bruder Daniel sein Geständnis abgelegt haben könnte: Bei den Sinti sei es üblich, daß der älteste Sohn für die Familie sorge. och