: Eine blaue Billardkugel mit Flöhen drauf
Copi: Ein Original zu entdecken ■ Von Klaus Gronan
In Paris und Barcelona, in Buenos Aires und New York werden seine Stücke gespielt. International renommierte Regisseure, vor allem seine Landsmänner und Freunde, Jorge Lavelli und Alfredo Arias, setzen sie in Szene. Doch die Bühnen der Bundesrepublik haben bisher kaum von ihm Notiz genommen: Copi, aus Argentinien gebürtiger Autor, Comic-Zeichner und Schauspieler, der in Paris lebte, arbeitete und (1987) starb, ist — zumindest scheint es so — für das „teutsche Gemüth“ ein harter Brocken.
Zu Beginn dieser Spielzeit unternahm das Staatstheater Mainz einen Vorstoß, indem es Copi letztes Stück, Ein ungelegener Besuch (Une visite unopportune), in der Inszenierung von Astrid Windorf erstaufführte. Nun gibt es, wiederum in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt, eine weitere Erstaufführung zu sehen: Loretta Strong greift nach den Sternen, ein rasanter und nicht unbedingt stubenreiner Weltraum-Sketch für einen Schauspieler, mit dem der Autor einst selbst über Europas Bühnen tingelte — im Kleid von Yves Saint Laurent und, als dieses geklaut wurde, dann nackt und grün angemalt.
Wer war dieser bunte Vogel — oder soll man sagen, dieses schrille Huhn? Wo er/sie/es doch seinen Namen von einer seiner Comic-Figuren, dem Hähncen „Copi“, übernahm.
Raúl oder Copi
Copi, alias Raúl Damonte, wurde 1939 in Buenos Aires geboren. Sein Vater war Herausgeber einer liberalen Zeitung und mußte nach Peróns Machtantritt mit seiner Familie ins Exil gehen, zunächst nach Uruguay, dann nach Frankreich. Als Copi 15 Jahre alt war, nahm ihn sein Vater mit zurück nach Argentinien, wo sich beide am Aufstand gegen den Diktator beteiligten.
Mit 16 Jahren schrieb Copi sein erstes Theaterstück. Sieben Jahre später brach er erneut nach Paris auf. Sein Vater mußte nach Uruguay fliehen, und der junge Mann wurde mittellos. Er verlegte sich aufs Zeichnen, verkaufte seine Werke auf dem Pont des Arts und wurde Comic- Zeichner.
Mitte der sechziger Jahre kam Copi mit der Pariser Theateravantgarde in Kontakt. Zusammen mit Fernando Arrabal und Jérôme Savary trat er in Sketchen und Szenen auf, die er zum Teil selbst verfaßte. Jorge Lavelli besorgte 1968 die Inszenierung des ersten größeren Stücks, La Journée d'une rêveuse (Tag der Träumerei), das dem Autor seinen ersten wirklichen Bühnenerfolg einbrachte. Im folgenden Jahr provozierte er mit seinem zweiten Stück, Eva Peron, einen regelrechten Theaterskandal: Die Uraufführung in der Cartoucherie in Vincennes (ThéÛtre de l'Epée de Bois) wurde von der rechtsradikalen Schlägertruppe „Ordre nouveau“ gestürmt, die den Eklat bei der Pariser Aufführung von Genets Die Wände wiederholen wollte. Die weiteren Aufführungen mußten unter Polizeischutz stattfinden.
In manchen seiner Stücke hat Copi mit sprachlichen und theatralischen Formen experimentiert. La pyramide und vor allem Les quatre jumelles (Die vier Zwillingsschwestern) sind zyklische Rituale, in denen in vielfachen Variationen wiederkehrende Themen abgehandelt werden: Gewalt und Drogen, Sex und Mord. Die beiden Monologe Loretta Strong und Le frigo (Der Eisschrank) sind Bravourstücke für wagemutige Solodarsteller. La nuit de madame Lucienne setzt in einer Reihe von Spiegelungen und Brechungen die Technik des „Theaters im Theater“ ein. Das Stück Les Escaliers de Sacré- Coeur (Die Treppen von Sacré-Coeur) hat Copi in siebensilbigen Wörtern mit Endreim geschrieben: Eine für das französische Theater sehr ungewöhnliche Versart. Aus dem Kontrast zwischen der strengen Form und dem freien, teils vulgären Alltags-Slang der Figuren gewinnt er distanzierende und parodistische Wirkungen, zugleich aber rückt die gebundene Sprache die auftretenden Outsider in die Nähe der klassischen Bühnenhelden. La tour de la défense steht, wie auch Ein ungelegener Besuch, in Handlungsaufbau, Figurenzeichnung und Dialoggestaltung der Boulevardkomödie und zugleich Copis eigenem Comicstrips nahe.
Zwischen den Stühlen
Zwei Monate vor der Premiere seines letzten Stückes, Une visite inopportune, starb Copi im Dezember 1987 in einem Pariser Krankenhaus an Aids. Von Aids, oder vielmehr von einem Schauspieler, der in einem Krankenhaus an Aids stirbt, handelt auch Copis letztes Stück. Aber es ist auf eine vertrackte Weise eben kein „Aids-Stück“, sondern eine groteske Komödie. Beim Blick auf die biographischen Entstehungsumstände mag da so manchen das Gruseln kommen. Andere — Beherztere oder Ahnungslosere — lachen sich schief.
Mit Repliken, die den Pointen des Boulevarddialogs nahestehen, wie
Aids — „Was für eine hehre Krankheit! Es gibt keine herrlichere Apotheose als zerschmettert vom Gewicht so vieler skandalöser Abenteuer zu sterben! Was für ein wunderbares Ende für einen echten Künstler!“
stellt sich das Stück entschieden jedem Versuch entgegen, aus dem Auftreten dieser neuen und ebenso schlagzeilen- wie schreckenerregenden Krankheit für die Wiederbelebung althergebrachter Moralprinzipien Kapital zu schlagen. Die Inszenierung des eigenen Todes als Spektakel — Cyrillus, der Held der Komödie, stirbt zur selbstgewählten Stunde und im Kostüm des Hamlet — ist vielleicht ein Versuch, den Tod zu entdramatisieren und den Betroffenen eine Gewißheit ihrer Würde zu bewahren: Schließlich ist das Sterben eine alltägliche Realität, und an Krebs oder Cholera, in einem Bunker in Bagdad oder in einer Massenkarambolage auf der Autobahn stirbt es sich nicht unbedingt friedlicher.
Copis Stücke, Comics, Romane sind, wenn man so will, „engagiert“. Eva Peron zeigte die operettenverklärte Diktatorengattin als putzsüchtiges, gemeines, raffgieriges, perverses und krebskrankes Wrack. Noch dazu wurde die Rolle von einem Mann (dem Schauspieler Facundo Bo) gespielt. Schon Anfang der siebziger Jahre wurde das Stück — womöglich wegen des Presseechos auf den Skandal in Vincennes — ins Deutsche übersetzt. Und liegt seither ungespielt in der Schublade des Verlegers.
Ist eine gewisse sauertöpfische Moral, das vielleicht, was Oswald Kolle unlängst in einer Talkshow die grundlegende Provinzialität der Deutschen nannte, die Ursache für das merkwürdige Rezeptionsverhalten in Bezug auf einen Autor, der in Ehren steht, wo man mit weniger gründlichem Ernst zu lachen weiß? Dafür spricht schon der Umstand, daß man Copis Romane offensichtlich in diesem unserem Lande nicht unter ihrem wahren Titel verkaufen kann: Le bal des Folles“ (Tuntentanz) wurde auf deutsch zu Die Schlange von New York, La guerre des pédés (Der Schwulenkrieg) zu Der Krieg der Samba!
Selbst für die Schwulenbewegung läßt sich dieser Autor, den der 'Spiegel‘ in seiner Rezension als „bekennenden Schwulen“ titulierte, wohl nicht so einfach vereinnahmen. Eher liebevoll nimmt er in Le monde fantastique des gays die Widersprüche, Eitelkeiten und Marotten der „Brüder und Schwestern“ aufs Korn. Die beiden Jungs, die sich in der Disco kennenlernen und nach dem offenbar üblichen Ritus (Engtanzen, Einladung nach Hause) auf dem Heimweg im Mondschein feststellen, daß sie beide Serge heißen und beide die passive Rolle bevorzugen: „Das ist Schicksal!“
Die Handlung seines Stückes L'Homosexuel ou la difficulté de s'exprimer (Der Homosexuelle oder Die Schwierigkeit sich auszudrücken), 1971, spielt in Sibirien. Von den auftretenden Personen hat keine das Geschlecht, das ihre Rolle oder ihr Name vermuten läßt. Immer wieder wird Irina, die zentrale Figur, regelrechten Verhören unterworfen: Sie soll sagen, warum sie dies oder jenes Ungewöhnliche bis „Abartige“ tut oder läßt. Aber Irina antwortet nicht. Sie verweigert sich allen Bevormundungsversuchen mit einer Konsequenz, die nicht für jeden eifrigen Anhänger der „Bewegung“, der mit seinen Flugblättern in der Fußgängerzone vor dem Supermarkt um Sympathie und Verständnis für die unterdrückte Minderheit heischt — und auch nicht für jeden aufgeschlossenen Leser dieser Aufrufe — leicht zu verkraften sein mag. Am Schluß zerstört Irina sich selbst, sie beißt sich die Zunge ab und entzieht sich damit ein für allemal der Verpflichtung, „sich auszudrücken“ — dem Ansinnen, ihr Verhalten versteh- und damit beherrschbar zu machen. In einem Interview aus dem Jahre 1983 vermerkt Copi, daß er nach seinem ersten Auftritt als Transvestit von Kollegen und Kritikern nicht mehr als Theatermacher, sondern als Transvestit betrachtet worden sei, und er fügt hinzu, dies sei „auch gut so“. So kann es wohl nicht darum gehen, in seinen Werken irgendeine „allgemein-menschliche“ Gültigkeit oder „rein literarische“ Qualität zu suchen, die dann gegen deren entschieden minoritäre Perspektive ins Feld geführt werden könnte. Im Gegenteil. Wenn es darin eine solche übergreifende Bedeutung gibt, dann ist sie gerade in der klaren und mit den ihm eigenen künstlerischen Mitteln gestalteten Artikulation jenes Minderheitenstandpunkts anzusetzen. Dann sind seine Texte und seine Zeichnungen ein geradezu „klassisches“ Zeugnis aus einer Zeit, in der zum Beispiel die Franzosen zu entdecken begannen, daß sie ein Volk aus „50 Millionen Minderheiten“ sind. (Wie es ihnen eine Reklameanzeige in den achtziger Jahren dann wieder vorerzählte.)
Copis Humor zielt auf Distanz. Die rational bestimmte Welt von uns so erwachsenen „modernen Menschen“ erscheint bei ihm als ein kunterbunt-quirliges Kinderspiel. Bereits in seinem ersten Stück, Der Tag einer Träumerin, hat er eine absurd- komische Parodie auf den geregelten gutbürgerlichen Lebensablauf geliefert, deren Handlung — wie zum Beispiel auch die von Loretta Strong — nach der unbekümmert sprunghaften Logik spielender Kinder konstruiert ist. Wenn aber das Leben nicht ernster ist als ein Kinderspiel, wenn man die Erde als eine blaue Billardkugel sieht, auf der wir Menschen wie die Flöhe herumhüpfen — wie es Jeannes Briefträger-Pilot-Liebhaber in Der Tag einer Träumerin sagt —, dann werden unsere Ziele und Aktionen in ihrer Dringlichkeit und ihrer Logik den Bestrebungen und Bewegungen jener possierlichen Tierchen ähnlich. So werden in Copis Werken alle heiß verfochtenen Anliegen — seien sie politische oder soziale Forderungen, moralische Prinzipien oder Lebensmaxime — von „absoluten Werten“ zu möglichen Haltungen relativiert, die zunächst einmal persönliche Angelegenheit (oder gar „Tick“) jedes einzelnen sind. Und als solche grundsätzlich gleichwertig. Meist geschieht das im Hinblick auf die (ebenfalls gemeinsamen) kreatürlichen Bedürfnisse aller: den Appetit aufs Essen oder auf das andere. „Erst kommt das Bumsen, dann kommt die Moral.“ Oder so. „Die Lust ist wie die Geburt oder wie der Tod, man erlebt sie nur einmal wirklich, aber die Geburt vergißt man, und den Tod kennt man nicht; die Lust ist der einzige Augenblick der Ekstase, dessen Erinnerung oder Illusion uns am Leben erhält“, meint der Erzähler im Krieg der Samba.
Prinzip dieses Humors scheint zu sein, daß nichts wahrhaft ernstgenomen werden kann, worüber man nicht (zuvor) auch unbändig lachen darf — vielleicht die „Regel“ des mittelalterlichen Karnevals. Das Ergebnis mag mancher als zu trägem Laissez-faire verkommene Toleranz, als „postmoderne Coolness“ nach dem Motto „anything goes“ beklagen oder gar verdammen. Wenn es uns aber gelänge, über uns selbst und unsere Freunde, aber natürlich vor allem auch über unsere Gegner zunächst einmal zu lachen — in dem Bewußtsein, daß sie Menschen sind wie du und ich —, wären wir dann nicht möglicherweise schon einen gehörigen Schritt weiter. Auf dem Weg zu dem Ziel, nein, nicht unbedingt sie zu lieben, aber wenigstens den so schwierigen Satz zu verstehen und zu beherzigen, der da heißt: „Ich teile Ihre Auffassung durchaus nicht, aber ich werde mit allen meinen Kräften Ihr Recht verteidigen, sie zu äußern?“ Oder so ähnlich.
Von Copi auf deutsch erschienen sind:
Comics: Die alten Nutten. Mama, warum hab ich keine Banane. Die Frau des Präsidenten. Alle bei Carlsen (Cartoon, Reinbeck bei Hamburg)
Romane und Erzählungen: Die Schlange von New York. Der Krieg der Samba. Beide beim Rosa-Winkel Verlag, Berlin
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