: Das Verschwinden eines Begriffs
■ Von einem „sicheren Hafen“ für die Kurden ist nicht mehr die Rede
Im politischen Alltagsgeschäft ist es üblich, daß gelegentlich Begriffe auftauchen, um dann schnell wieder in der Versenkung zu verschwinden. So auch in der Frage einer „Schutzzone“ oder „Enklave“ für die bedrohten kurdischen Flüchtlinge aus dem Irak, die noch vor nicht einmal zwei Wochen für Schlagzeilen sorgte. Am weitesten ging der britische Premierminister John Major, der den von UN-Truppen kontrollierten „sicheren Hafen“ auf das gesamte Gebiet des irakischen Kurdistan ausgedehnt wissen wollte. Nun ist von alledem nicht mehr die Rede, die humanitären Aktionen bestimmen die Nachrichten. Alle Beteiligten sind sich offenbar darüber einig, daß eine Art De-facto-Schutzzone entlang der Grenze praktikabler ist als ein formell über die UNO abgesegneter und militärisch geschützter „sicherer Hafen“.
Das Bermuda-Dreieck, in dem diese Begriffe verschwunden sind, liegt in diesem Fall sozusagen zwischen Washington und New York. Sowohl die US-Regierung als auch die UNO gingen auf Distanz zu dem britischen Vorschlag, der in einer eingeschränkten Variante auch von der EG übernommen worden war. Hilfe für die Kurden ja, aber keine UN-Entscheidung, die komplizierte Völkerrechts- und Souveränitätsfragen aufgeworfen, Befürchtungen über Autonomie und Separatismus genährt und den Beigeschmack neuer Einmischung des Westens in die inneren Angelegenheiten eines Landes der Dritten Welt gehabt hätte. Sie wäre den Interessen zahlreicher Staaten zuwidergelaufen, auf die die USA für ihre Allianz in der Region und ihre — prioritären — Bemühungen um eine Lösung des Nahost-Problems angewiesen sind.
Mit der US-Warnung an den Irak, nördlich des 36. Breitengrades die Flüchtlinge nicht mehr anzugreifen, und der Tolerierung der internationalen Hilfsaktionen durch das Regime in Bagdad konnten diese Klippen umschifft werden. Die größten Probleme mit dieser stillschweigenden Regelung dürfte die Türkei haben. Die Regierung in Ankara favorisiert ein militärisch abgeriegeltes Gebiet im Irak, nicht nur, weil sie die Flüchtlinge im eigenen Land nicht haben will. So soll auch verhindert werden, daß die türkisch-kurdische Guerilla der PKK, deren Chef Öcalan schon von einer Rolle als gesamtkurdischer Führer träumt, unter den Flüchtlingen neue Anhänger rekrutiert. Diesen Befürchtungen trägt die „Operation Beistand“ Rechnung, die in enger Zusammenarbeit mit Ankara die „größte militärische Hilfsoperation der USA seit dem Zweiten Weltkrieg“ organisiert. Es ist sicher kein Zufall, wenn die Beschreibungen dieser an sich humanitären Aktion von militärischen Begriffen wie Kommandozentrale oder Hilfsoffensive so strotzen. Das Signal richtet sich an Ankara und Bagdad gleichermaßen: Die USA sind vor Ort militärisch präsent. Beate Seel
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