: Reisebranche hofft auf gnädige Winde
■ Zwei Jahre nach der Algenpest bangen Italiens Touristikmanager vor einer erneuten Krise/ Falls noch mehr Öl an die Strände schwappt, wollen Reiseveranstalter Umbuchungen erleichtern
Abwarten und auf gnädige Winde hoffen. So scheint die verzweifelte Devise der Tourismusmanager an der italienischen Riviera zu lauten, wo ein großer Teil der Küstenbewohner vom Fremdenverkehr lebt. Wenn das Wetter bleibt, wie es ist, wenn es keinen Wellengang gibt und wenn die Techniker es schaffen, das restliche Öl aus dem am Meeresboden liegenden Schiffswrack abzupumpen, ohne es dabei weiter zu beschädigen, dann könnte es sein, daß die im Mai beginnende Badesaison noch einmal relativ ungestört abläuft — so ihre Logik. Sollte jedoch noch mehr Öl in den Golf von Genua fließen oder die schwarze Flut die vielbesungenen Strände von San Remo, Alassio oder Rapallo überziehen, dürfte der Tourismus in der Region ein jähes Ende finden. Doch von einem derartigen Szenario wollen die Verantwortlichen zum jetzigen Zeitpunkt nichts hören.
Als drohendes Beispiel für den Verfall einer Region nach einer Umweltkatastrophe haben viele Italiener die Emilia-Romagna auf der gegenüberliegenden Seite des Stiefels vor Augen. Als vor zwei Jahren die Algenpest in der Adria bekannt wurde, standen dort mitten in der Saison die Hotels leer, und die „Teutonengrills“ wurden zu Orten der Einsamkeit. Der Rückgang des Algenblühens (zumindest in den Medien) und eine geschickte Marketingstrategie sorgten für eine langsame Rehabilitation der Emilia-Romagna. Dafür, daß Italien in diesem Jahr erstmals wieder stark in der Touristengunst steigt, gibt es jedoch einen ganz anderen, wesentlich wichtigeren, Grund: „Seit andere Strände wegen der Golfkrise ausgefallen sind, konnte sich Italien von der Algenpest erholen“, so Frau Serrano, Vorstandsmitglied des Deutschen Reisebüroverbandes.
Dieser Bonus dürfte nun verlorengehen. Vor dem Umweltbewußtsein der Touristen zittern die örtlichen Verantwortlichen schon jetzt. Rund die Hälfte der Besucher der Riviera kommt aus den norditalienischen Industriegebieten, die übrigen hauptsächlich aus Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik.
Bei den großen deutschen Reiseveranstaltern laufen bereits Überlegungen über eine Verlagerung der Touristenströme. Der Branchengrößte, die TUI in Hannover, die im vergangenen Jahr 13.000 ihrer insgesamt 210.000 Italienreisenden an die ligurische Küste schickte und 1991 bereits 25 Prozent Zuwachs im Italiengeschäft verbuchen konnte, läßt sich laufend von ihren Reiseleitern über die Situation vor Ort informieren. Gestern morgen erklärte TUI-Pressesprecher Geppart der taz: „Wir haben noch keine Ölmeldung aus unseren Orten.“ Sollte sich das Bild jedoch wandeln, will die TUI ihren Kunden „auf Anfrage anbieten, kostenlos eine andere Reise zu buchen“. Das Konkurrenzunternehmen NUR-Touristik in Frankfurt hatte gestern noch keine entsprechende Entscheidung gefällt.
Die Rechtslage für solche Fälle ist völlig unklar. Die entscheidende Frage sei, so der TUI-Sprecher, ob der Reiseveranstalter für die „Mangelfreiheit des Meeres“ schulden muß oder nicht. Falls „höhere Gewalt“ als Grund für eine Öko-Katastrophe erkannt wird, könnte das sogar Rücktrittsmöglichkeiten für Kunden und Reiseveranstalter bedeuten. Leidtragende ist in jedem Fall die örtliche Bevölkerung. Dorothea Hahn
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