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Hessens Opposition packt „Bello“ aus

Neue rot-grüne Landesregierung unter ideologischem CDU-Beschuß/ Joschka Fischer für eine Politik des „runden Tisches“ in Biebesheim/ Eisiger Wind im „Pfarr-Haus“/ Heide Pfarr (SPD) räumt auf  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Ein begnadeter Rhetoriker ist der neue hessische Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) nicht. Doch für die parlamentarischen Glanznummern hat der Mann aus Kassel ja seinen wortgewaltigen grünen Stellvertreter Joseph „Joschka“ Fischer. Und der zog nach der emotionslos vorgetragenen Regierungserklärung seines Chefs am Dienstag nachmittag vor dem Landtag alle Register. Während Eichel mit spitzzüngigen Bemerkungen die Zwischenrufe der Opposition gekontert hat und so immerhin den Beifall seiner Parteigänger provozierte, wies Fischer die schon nach einer Woche Amtszeit der neuen SPD/Grünen-Koalition renitent gewordenen Christdemokraten mit Verve in die Schranken.

Das inhaltslose Ritual „Opposition drischt auf Regierung ein“ werde vor allem von den Wahlverlierern aus den Reihen der Union als Wunderwaffe gegen das „Hissen der rot-grünen Verhinderungsflagge“ (Koch/CDU) nur Tage nach dem Regierungswechsel erneut gepflegt — eine Reminiszenz an die Zeiten der ersten sozial-ökologischen Koalition. Den „Bello“ habe der umweltpolitische Sprecher der Union, Roland Koch, ausgepackt, um einen Umweltminister zu prügeln, der sich mit dem zu CDU/FDP-Regierungszeiten entstandenen Rückstau von acht Monaten im Entsorgungssektor Sondermüll seit exakt 40 Arbeitsstunden beschäftige.

Der Landtag war also am Dienstag mitten in der Debatte um die Zukunft der Giftmüllverbrennungsanlage im südhessischen Biebesheim. Weil Fischer den zuständigen Regierungspräsidenten angewiesen hatte, den Erörterungstermin im Rahmen des von seinem Vorgänger Weimar (CDU) eingeleiteten Planungsverfahrens für einen dritten Verbrennungsofen zu verschieben, hatte die Union eine „Aktuelle Stunde“ zum Thema beantragt.

In wenigen Stunden, so Koch, habe Fischer in Hessen für alle potentiellen Investoren ein „Klima des Mißtrauens“ geschaffen und die Realisierung des dritten Verbrennungsofens um mindestens ein Jahr verzögert. Wie in der ersten Hälfte der 80er Jahre müßten Antragsteller für Investitionen wieder damit rechnen, dem „politischen Opportunismus und den tagespolitischen Einfällen“ einer rot-grünen Landesregierung „zum Opfer“ zu fallen.

Daß Joschka Fischer dann selbst zum Schlag ausholte, kommentierte ein gutgelaunter Ministerpräsident auf der Regierungsbank mit zufriedenem Grinsen — und die Koalitionsfraktionen mit Beifallskundgebungen. Vier Jahre lang, so Fischer, seien keine Maßnahmen zur Vermeidung von Giftmüll ergriffen worden. Und genau diese „Verweigerungshaltung“ der abgelösten Landesregierung habe zu dem von der Union kritisierten Rückstau bei der Entsorgung geführt, mit dem sich die neue Landesregierung jetzt auseinanderzusetzen habe. Fischer: „Sie von der Union können doch nicht erwarten, daß ich in fünf Tagen all die Probleme löse, die sie in vier Jahren geschaffen haben.“ Wer nur auf die Entsorgung setzte, werde zwangsläufig im Giftmüllsumpf versinken. Die rot-grüne Koalition setze dagegen bei der Umsteuerung im Sondermüllbereich auf Vermeidung und umweltschonende Verwertung. Mit einer Sonderabfallabgabe, die bei den Giftmüllverursachern erhoben werden wird, soll der Chemiemüllberg verkleinert werden.

Im Konflikt um den Bau des dritten Giftmüllofens will Fischer die betroffene Bevölkerung einbeziehen. In Biebesheim stellte sich der neue Umweltminister in einer ersten „Amtshandlung“ im südhessischen Ried einer kritischer gewordenen Öffentlichkeit. Mit der Verschiebung des Erörterungstermins kam Fischer auch einer Forderung der Bürgerinitiativen und der kommunalen Arbeitsgemeinschaft gegen die Erweiterung der Anlage der Hessischen Industriemüll GmbH (HIM) nach. Die so gewonnene Zeit will der Minister zum Aktenstudium und zur Durchführung eines Biomonitorings über den aktuellen Stand der Belastung der Region mit Schadstoffen nutzen. Am „runden Tisch“ sollen die neuen Erkenntnisse mit den Betroffenen diskutiert werden — „alles nach Recht und Gesetz“ (Fischer).

Daß in Wiesbaden die „Architektur einer neuen Politik“ (Eichel) schon nach einer Woche in Umrissen erkennbar wird, ist auch ein Verdienst des neuen Innenministers Herbert Günther (SPD). Der stoppte in einer ersten Amtshandlung die Abschiebung von kurdischen Türken. Außerdem beschloß die Landesregierung eine Soforthilfe für die Kurden in Höhe von 300.000 DM.

Verkehrsminister Ernst Welteke (SPD) führte am Rhein-Main-Flughafen gleich nach Amtsantritt ein begrenztes Nachtflugverbot ein, und die Finanzministerin Fugmann- Heesing kündigte — zur Freude der hessischen Bürgermeister — die Wiedereinführung der Bagatellsteuern an. Der Staatssekretär in der Staatskanzlei, Regierungssprecher Erich Stather, sprach denn auch vom „wunderbaren Klima“, das in der Koalition herrsche.

Doch in einer Hinsicht knirscht es bereits heftig im Gebälk. Heide Pfarr (SPD), Ministerin für Frauen und Arbeit, kehrt mit eisernem Besen alle Mitarbeiterinnen der früheren Beauftragten für Frauenangelegenheiten heraus, die ihr politisch oder „rein menschlich“ nicht passen. Ein eisiger Wind fegt durch das neue Ministerium, das inzwischen „Pfarr- Haus“ genannt wird.

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